043. Ein Flug zum Mond (Ninas Briefe 8)

Ein Flug zum Mond

 Hallo Steffi.

Du wirst mir nicht glauben, was mir gestern Nacht passiert ist. Aber ich schwöre dir, dass jedes Wort wahr ist. Du weisst ja, dass ich nicht lüge, auch wenn es sich so anhört. Aber ich will dich nicht weiter auf die Folter spannen.

 Vorletzte Nacht konnte ich nicht schlafen. Der Rolladen vor meinem Fenster ist kaputt gegangen und nun muss ich schlafen, obwohl das blöde Ding nicht unten ist. Und im Moment scheint der Mond so hell wie eine Straßenlaterne in mein Zimmer. Das nervt ganz schön. Am liebsten hätte ich Tommy aus seinem Zimmer geworfen. Dann hätte er sich den Mond anschauen können und ich hätte meinen Schönheitsschlaf bekommen. Aber Mama hat es mir dann doch verboten. Sie sagte nur, dass es schon nicht so schlimm sein und Papa den Rolladen spätestens am Wochenende reparieren würde.
Und dann lag ich da nun und starrte die ganze Zeit diese helle Scheibe am Himmel an. Ich weiss nicht, ob du das schon einmal gemacht hast. Für mich sieht der Mond jedenfalls so aus, als hätte er ein Gesicht, mit Mund, Nase, Augen, und als würde er mich die ganze Zeit von da oben beobachten. Das ist ein ganz schön komisches Gefühl. Ich habe mich überhaupt nicht wohl gefühlt. Nicht einmal die Gardine hat etwas geholfen. Ich konnte den Mond noch richtig gut dadurch sehen und er mich bestimmt auch.
Am nächsten Morgen war ich richtig kaputt und bin immer wieder in der Schule eingeschlafen. Jetzt weiss ich endlich, warum es gut wahr, mir einen Platz ganz hinten im Klassenraum zu suchen. Da sieht es wenigstens keiner, wenn mein Kopf auf dem Tisch liegt. Tommy hätte das nicht gekonnt. Der fängt ja immer sofort an zu schnarchen, sobald er die Augen zu hat.
Im Sachkundeunterricht, die einzige Schulstunde, die ich so gerade eben wach geschafft habe, ging es heute um Sonne, Mond und Sterne. Herr Schumann, unser Lehrer hat uns alles erklärt. Wie weit die alle voneinander entfernt sind, woraus sie bestehen und wie alt sie sind. Da musste ich ja dann doch etwas kichern. So alt wie unser Mond ist, müsste sein Gesicht doch schon längst ganz viele Falten haben. Aber er sieht noch lange nicht so zerknittert aus wie Tante Eva. Die ist zwar auch schon alt, aber noch lange nicht so wie der Mond.
Und als Herr Schumann sagte, dass die Oberfläche des Mondes aus Stein besteht, habe ich ganz laut protestiert, denn Anna-Lenas Papa sagt immer, dass der ganze Mond aus Käse besteht und man sich sogar von einer zur anderen Seite durch essen könnte, wenn man einen viel größeren Bauch und ganz viel Hunger hätte. Allerdings würde dafür auch nicht der Vorrat an Brot und Crackern ausreichen, denn Käse allein schmeckt ja nicht so gut.
Und dann haben alle über mich gelacht, alle Kinder in meiner Klasse und auch Herr Schumann. Der hat mich sogar noch gefragt, wo ich denn dieses Märchen gehört hätte. Dann bin ich ganz rot geworden, hab mich schnell wieder hingesetzt und den Rest der Stunde kein einziges Wort mehr gesagt. Das war das Peinlichste, was mir je passiert ist. Und etwas Schlimmeres wird es auf der Welt ganz bestimmt nicht geben. Damit werden mich die anderen bestimmt den Rest meines ganzen Lebens aufziehen. Am Liebsten wäre ich gleich auf eine andere Schule gewechselt.
Als ich nach Hause kam, hab ich ganz still am Mittagstisch gesessen und bin dann für den Rest des Tages in mein Zimmer verschwunden.
Irgendwann wurde es dunkel und es wurde Zeit, in mein Bett zu gehen. Doch als ich gerade lag, kroch schon wieder dieser gemeine Mond über den Horizont und leuchtete mir genau ins Gesicht. Ich war richtig sauer.
Doch auch Umdrehen und hin und her wälzen brachte nichts. Es war einfach viel zu hell zum Schlafen. Ich schnappte mir Decke und Kopfkissen und wollte mich gerade in meinen Kleiderschrank verkriechen, als ich plötzlich ein Geräusch hörte.
Vor Schreck lies ich alles fallen. Und dann hörte ich es wieder. Da stand jemand vor dem Haus und warf Steinchen gegen mein Fenster. Zuerst traute ich mich nicht, nachzusehen. Aber es wollte einfach nicht aufhören. Immer wieder knallte ein neuer Kiesel gegen das Glas, bis ich schließlich nachgab und zum Fenster ging. Als ich es öffnete, kam erneut ein Steinchen geflogen und traf mich auf die Nase. Das tat ziemlich weh, aber es blutete zum Glück nicht.
Ich sah nach unten und sah dort Tim stehen. Er ist ein Junge aus meiner Klasse.
»Was machst du denn da? Musst du nicht schon längst im Bett liegen und schlafen?«
Er schüttelte nur kräftig mit dem Kopf.
»Los komm raus. Wir wollen dir etwas zeigen.«
Ich sah mich draussen um, konnte aber außer Tim niemand anderes sehen.
»Wieso wir? Du bist doch alleine. Und ich bin bestimmt nicht so verrückt und komme so spät noch zum Spielen raus. Da bekomme ich jede Menge Ärger, wenn das meine Eltern erfahren.«
Tim winkte ganz aufgeregt jemanden herbei. Er schien wohl nicht mehr zu wissen, wie er mich aus dem Haus holen sollte.
Und plötzlich kamen sie von allen Seiten. Da waren alle Kinder aus meiner Klasse und dazu noch mein Sachkundelehrer.
Herr Schumann gab den anderen zu verstehen, dass sie leise sein sollten.
»Nina, komm raus. Wir machen einen kleinen Schulausflug. Wir wollen etwas mehr über den Mond lernen und heraus bekommen, ob er nicht vielleicht doch aus Käse gemacht ist.«
Ich wurde sofort wieder ganz rot im Gesicht.
»Jaja, lacht ruhig alle über mich. Ihr habt ja auch nichts Dummes in der Schule gesagt.«
Doch dann fiel mir auf, dass niemand lachte. Alle waren still und schienen nur darauf zu warten, dass ich endlich raus kommen würde.
Sie winkten mir sogar zu, herunter zu kommen.
»Ich kann doch nicht. Meine Eltern sind noch wach und schauen fern. Die werden mich sofort bemerken, wenn ich mich raus schleiche.«
»Nichts einfacher als das.«, flüsterte Herr Schumann zu mir rauf.
»Zieh dich schnell an, setz dich auf dein Bett und warte ab, was geschieht.«
Ich tat also, was er sagte und wartete.
Plötzlich sah ich mehrere Schatten vor meinem Fenster hin und her sausen. Und dann waren sie auch auf der anderen Seite, hinter meiner Balkontür zu sehen. Und einer von ihnen kam ganz nah an unser Haus heran.
Ich verkroch mich sofort unter meiner Decke und zitterte am ganzen Körper, bis ich es wieder klopfen hörte und eine Stimme zu mir sprach.
»Nina? Bist du fertig? Du brauchst keine Angst haben. Wir wollen dich nur zu unserem Schulausflug abholen. Mach die Balkontür auf und setz dich wieder auf dein Bett.«
Es war mein Lehrer. Aber wie war er auf meinen Balkon gekommen?
Ich kroch also unter der Decke hervor, öffnete die Türen und setzte mich schnell wieder auf mein Bett, als es auch schon begann, sich zu bewegen.
Er bekam Angst. Und die Angst wurde noch größer, als mein Bett plötzlich abhob und knapp unter der Zimmerdecke schwebte. Dann bewegte es sich auf den Balkon zu und flog hinaus in die Nacht.
Ich fand mich plötzlich über unserem Garten wieder und ar umringt von den Kindern meiner Klasse. Jeder von ihnen lag oder saß im eigenen Bett und schwebte im Kreis um mich herum. Sogar Herr Schumann saß in seinem Bett. Es war ein unheimlich schönes Himmelbett.
»Nina, wir fliegen jetzt alle zusammen zum Mond und schauen nach, woraus er wirklich gemacht ist.«
Sein Bett setzte sich in Bewegung und wir anderen flogen ihm in einer langen Kette hinterher.
Ich glaube, wenn uns jemand am Boden gesehen hätte, hätte der nicht geglaubt, was er sieht. Aber in diesem Moment dachte ich gar nicht an so etwas. Ich hatte nur Angst herunter zu fallen. Aber es wehte kein Wind und mein Bett wackelte kein bisschen. Trotzdem nahm ich meinen Kuschelbären fest in den Arm und lies ihn nicht mehr los. So fühlte ich mich wenigstens etwas besser.
Wir flogen eine ganze Weile immer höher, immer weiter in den Himmel und kamen den Sternen immer näher. Wir flogen vorbei an Kometen, passierten die Milchstraße und ließen uns von einigen schnellen Raumschiffen überholen, bis vor zur Landung auf dem Mond ansetzten.
Unsere Betten wurden immer langsamer und setzten nacheinander auf der Oberfläche auf.
Ich stieg vorsichtig aus, setzte einen Fuß vor den anderen und begann mich umzusehen.
Ich warf einen Blick in den Himmel und wunderte mich über den komischen blauen Mond, der mich nun anlachte.
»Das ist kein Mond, falls du das jetzt denkst.«, sagte Herr Schumann zu mir.
»Das ist unsere Erde, nur von der anderen Seite aus gesehen.«
Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich war so fasziniert, dass mir einfach die Worte fehlten. Dieser Anblick war so wunderschön.
»So, Kinder. Dann schaut euch mal um. Vielleicht entdeckt ihr ja ein paar interessante Dinge. Und wer ein Stück Käse findet, bringt es bitte zu mir, ich habe nämlich noch nicht zu Abend gegessen.«
Alle mussten lachen. Sogar ich konnte mir diesmal kein Grinsen verkneifen.
Natürlich war der Mond nicht aus Käse. Das sah ich jetzt auch. Die ganze Oberfläche war voll mit Steinen und Sternenstaub. Hier sollte mal jemand ordentlich putzen. Aber wo niemand wohnt, kann auch niemand sauber machen.
Ich sah mich genauer um und lief von einem Krater zum anderen, schaute hinter kleine Hügelchen und entdeckte dann plötzlich doch etwas.
Hinter einem kleinen Berg stand ein kleines Häuschen. Es war kleiner als das von Mama und Papa, war aber groß genug, um darin stehen zu können.
Jetzt wunderte ich mich aber doch. Schließlich hatten wir in der Schule gelernt, dass der Mond unbewohnt sei und die ersten, die hier oben waren, Astronauten genannt wurden und mit einer Rakete her kamen. Wer konnte also hier wohnen?
Ich ging langsam näher und schaute durch ein Fenster in das Innere des Häuschens. Aber es war viel zu dunkel. Deswegen suchte ich die Tür und klopfte vorsichtig an.
»Zu wem möchtest du denn, junge Dame?«
Ich drehte mich erschrocken um. Hinter mir stand ein alter Mann und sah mich freundlich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also blieb ich still und bewegte mich auch nicht mehr.
»Vor mir brauchst du keine Angst haben.«, sagte er.
»Ich bin der Mann im Mond. Du wirst doch sicher schon von mir gehört haben.«
Der Mann im Mond? Klar hatte ich von dem schon gehört. Wer denn nicht? Aber bisher dachte ich immer, dass er nur ein Märchen wäre. Und nun stand er leibhaftig vor mir. Das war vielleicht aufregend.
»Weisst du was? Ich werde dir meine Welt zeigen, wenn du schon einmal hier bist. Ich bekomme so selten Besuch, dass ich mich über dich sehr freue.«
Er schloss die Tür des kleinen Häuschens auf und nahm mich mit hinein.
Ich war richtig erstaunt. Denn von innen sah es riesig groß aus. Das konnte doch unmöglich alles in dieses kleine Häuschen passen. An den Wänden hingen überall Uhren und sie tickten leise vor sich hin.
»Hier wird die Zeit gemacht.«, sagte er.
»Ich bin dafür zuständig, dass sie Uhren regelmäßig aufgezogen und, wenn es nötig ist, repariert werden. Jede von ihnen gehört zu einem Land auf deiner Erde. Und wenn eine von ihnen stehen bleibt, dann bleiben die Zeit und auch alle Menschen und Tiere in diesem Land stehen. Darum ist meine Aufgabe hier sehr wichtig.«
Ich staunte. Davon hatte ich noch nie etwas gehört. Aber glauben konnte ich es auch nicht so richtig.
»Kennst du das Gefühl, wenn ein Tag besonders schnell vorbei geht oder manch anderer gar nicht enden will?«
Ich nickte.
»Das ist dann auch tatsächlich so. Denn in diesen Momenten stimmt etwas mit den Uhren nicht und ich muss sie reparieren, weil sie zu schnell oder zu langsam laufen.«
Er führte mich herum, bat mich aber, keine der Uhren zu berühren. Und das tat ich auch nicht. Ich wollte schließlich nichts kaputt machen.
Schließlich brachte er mich wieder zum Ausgang und verabschiedete mich. Er drückte mir noch einmal die Hand und entschuldigte sich, da er jetzt wieder arbeiten müsste.
Ich ging also zurück zu meinen Klassenkameraden, die bereits wieder in ihre Betten stiegen.
»Nina, es wird Zeit. Wir wollen zurück nach Hause, sonst bekommt ihr nicht mehr genug Schlaf heute Nacht.«
Herr Schumann winkte mich heran und achtete darauf, dass jeder sicher in seinem Bett saß oder lag. Dann hoben wir alle wieder ab und flogen der Erde entgegen.
Kurz vor der Landung verteilten sich die Betten über den ganzen Stadt und jeder von uns schwebte in sein eigenes Zimmer zurück.
Das war schon verrückt, was wir in dieser Nacht erlebt haben. Und ich glaube, Mama, Papa und Tommy würden mir das nie glauben. Deswegen werde ich es ihnen auch nicht erzählen.
Heute morgen in der Schule haben wir über unser Erlebnis geredet. Einige Schüler hatten Staub und Steine mitgebracht. Wir stellten dann sehr schnell fest, dass der Mond tatsächlich nicht aus Käse bestand. Aber das machte mir nun nicht mehr so viel aus, denn ich hatte ja ein neues Geheimnis gefunden.
Als Herr Schumann fragte, ob jemand von uns den Mann im Mond gesehen hätte, lachten alle. Tim sagte sogar, dass das doch nur ein Märchen sei und es keinen Mann im Mond gäbe.
Ich wusste es aber besser, sagte jedoch nichts. Es würde mir eh keiner glauben. Aber Herr Schumann zwinkerte mir nur lächelnd zu. Ob er weiß, was ich gestern erlebt und gesehen habe?

 Ich hätte ja nicht gedacht, dass mein Brief so lang werden würde, aber ich hatte ja auch sehr viel zu berichten. Ich hoffe, du glaubst mir das. Du bist nämlich die einzige, bei der ich mich traue, davon zu berichten.

 Deine Nina.

 P.S.: Ich weiss, dass es schwer ist, mir das alles zu glauben. Damit es dir aber leichter fällt, habe ich ein wenig Sternenstaub vom Mond in den Briefumschlag gepackt.

(c) 2007, Marco Wittler

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