065. Die Weihnachtsschnecke (Ninos Schneckengeschichten 2)

Die Weihnachtsschnecke

Nino stand vor dem großen Spiegel im Flur und bürstete sich seine Frisur zurecht. Heute war ein ganz besonderer Tag und da musste man sich auch ganz besonders schick machen.
Als er ein leises Winseln hörte, blickte er zu Boden und sah seinen kleinen Hund.
»Aber ja doch, Wuschel. Dich bürste ich auch gleich noch. Du sollst ja auch richtig schön ausschauen.«
Nino strich noch zwei Mal über sein eigenes Haar und kümmerte sich dann um seinen Hund.
»Ich bin schon richtig neugierig, wie die Feier heute Abend sein wird, wer alles kommt und welche Überraschungen auf uns warten. Der Bürgermeister hat ja ein paar davon angekündigt.«
Nino konnte seine Freunde kaum im Zaum halten. Es war das erste Mal, dass ihn der Bürgermeister eingeladen hatte.
»Jetzt muss ich nur noch mein Häuschen auf Hochglanz polieren.«
Nino griff in eine Schublade und holte eine Paste und einen Lappen daraus hervor.
»Damit sollte es klappen. Schließlich soll es heute Abend auch gut aussehen.«

Wer nimmt denn sein Häuschen mit zu einer Feier, magst du dich jetzt fragen. Normalerweise finden Feiern in einem Haus statt. Aber bei Nino war das etwas anders. Er lebte in einem großen Haus, trug aber immer ein kleineres mit sich. Denn Nino war ein Schnecke.

Er sah auf die Uhr.
»Du meine Güte. Wuschel, schau dir an, wie spät es ist. Es ist allerhöchste Zeit, dass wir uns auf den Weg machen, sonst kommen wir zu spät.«
Nino schnallte sich eine rote Fliege um den Hals, zog seine Winterjacke an und legte seinem Hund eine Leine um.
»Ich will auf keinen Fall den Beginn meiner ersten Weihnachtsfeier verpassen.
Gemächlich kroch Nino, wie eine Schnecke das nun einmal macht, aus dem Haus, schloß die Türe hinter sich ab und machte sich auf den langen und beschwerlichen Weg.
Unterwegs begegnete er vielen Leuten, oder vielmehr begegneten sie ihm, wenn sie ihn überholten.
»Hallo Nino.«, rief ihm jemand zu.
»Wir sehen uns auf der Feier.«, meinte ein anderer.
Nino winkte ihnen zu und freute sich.
Doch nach und nach verging ihm seine Freude, denn die Sonne ging langsam unter und dicke schwere Schneewolken krochen über den Himmel hinweg.
»Oh, oh. Schau dir das an, Wuschel. Ich hoffe, wir sind schnell genug an der Stadthalle, bevor der Schneesturm los geht. Wir müssen uns beeilen.«

Der Bürgermeister sah auf die Uhr.
»Es tut mir leid, meine Freunde, aber wir müssen nun beginnen. Wir sind schon eine halbe Stunde über den Zeitplan. Wenn ich mich umsehe, dann sind doch alle da, bis auf Nino. Vielleicht hat er etwas anderes geplant für den heutigen Abend.«
Er nahm ein Glöckchen in die Hand und wollte es gerade klingeln lassen, als ihn jemand unterbrach.
»Herr Bürgermeister. Es ist doch Weihnachten, und wir wollten alle zusammen feiern, ohne, dass jemand allein sein muss. Da können wir doch nicht einfach Nino auslassen.«
Es war Fräulein Fledermaus. Sie hatte Nino auf dem Weg zur Stadthalle überflogen und wusste, dass er auf dem Weg hierher war.
»Ich habe ihn unterwegs gesehen. Wenn er noch nicht hier ist, dann ist bestimmt etwas geschehen. Wir müssen uns auf den Weg machen und ihn suchen.«
Der Bürgermeister wehrte mit einer Handbewegung ab.
»Vielleicht ist er umgekehrt. Es tut mir leid, aber wir müssen nun anfangen, sonst kommt mein schöner Zeitplan durcheinander.«
Mittlerweile war es in der Halle nicht mehr so still, wie zu Beginn. Überall wurde getuschelt und geflüstert. Hin und wieder konnte man hören, dass sich die Leute Sorgen um Nino machten.
Schließlich schlossen sich ein paar Frauen und Männer zusammen, die sich auf die Suche machen wollten.
»Es schneit da draußen schon sehr. Wenn wir uns nicht auf den Weg machen, dann wird er vielleicht vom Schnee bedeckt und erfriert.«
Sie verließen die Stadthalle und verschwanden in der Dunkelheit.
Der Bürgermeister wusste nicht, was er nun machen sollte. Niemand hörte ihm mehr zu. Entweder waren die Leute gegangen oder sahen aus dem Fenster, um zu sehen, wann die anderen mit der Schnecke zurück kehren würden.
»Leute, so hört mir doch zu. Ich habe da eine wunderbare Idee. Aber dazu brauche von jedem einzelnen von euch Hilfe.«

Es dauerte nicht lange, bis sie ihn gefunden hatten.
Nino war nur wenige Meter von seinem Haus entfernt. Da er nur sehr langsam vorwärts kam, hatte er die Zeit unterschätzt. Als er dann noch vom Schneesturm überrascht worden war, war es zu spät, sich noch irgendwo zu verkriechen. Er war von einer dicken Schneedecke umhüllt. Wuschel hüpfte um ihn herum und bellte laut.
Fräulein Fledermaus entdeckte ihn zuerst, flog im Sturzflug auf ihn zu und wedelte mit ihren Flügeln den Schnee beiseite.
»Nino, bist du in Ordnung? Geht es dir gut?«
Nino, der nun endlich wieder etwas sehen konnte, bejahte die Frage.
»Ja, es geht mir gut. Ich hab mich in meinem Schneckenhaus versteckt. Darin kann mir nichts passieren. Nur leider habe ich die Weihnachtsfeier verpasst.«
Traurig wischte er sich eine Träne aus dem Auge.
»Nino, das macht doch nichts. Wir haben sie auch verpasst, weil wir dich suchen wollten.«
Herr Maulwurf packte sich die Schnecke unter seinen Arm und trug sie fort.
»So, Nino, jetzt bringe ich dich erstmal nach Hause. Dann kannst du dich am Kaminfeuer aufwärmen. Und dann bleiben wir bei dir und erzählen dir ein paar schöne Weihnachtsmärchen.«

Als sie schließlich durch die Eingangstür kamen, waren sie völlig überrascht. Sie wurden nämlich vom Bürgermeister in Empfang genommen.
»Hallo Nino. Hallo Freunde. Ihr glaubt ja nicht, wie froh ich bin, dass ihr es geschafft habt. Wir haben uns einfach entschlossen, die Weihnachtsfeier in Ninos Haus zu verlegen. Wenn er es nicht schafft zu uns zu kommen, kommen wir halt zu ihm. Es ist doch schließlich Weihnachten und es soll niemand alleine sein in dieser Zeit.«
Fräulein Fledermaus nahm den Bürgermeister beiseite.
»Herr Bürgermeister, ich dachte, sie hätten einen wichtigen Zeitplan, den wir unbedingt einhalten müssten. Was ist denn daraus geworden?«
Der Bürgermeister zuckte nur mit den Schultern und warf einen kleinen Zettel ins Kaminfeuer.
»Zeitplan? Wer braucht schon einen Zeitplan?«
Er ging zu den Leuten zurück und klopfte allen auf die Schulter.
»Freunde, es ist Weihnachten. Also lasst uns feiern.«
Nino setzte sich in seinen großen gemütlichen Sessel und genoss die Feier. Er hatte es sich niemals in seinen Träumen so schön vorgestellt.
Seine Freunde nahmen neben ihm Platz und erzählten ihm die schönsten Weihnachtsmärchen, wie sie es ihm versprochen hatten.

(c) 2007, Marco Wittler

Die Weihnachtsschnecke – gelesen von Uwe B. Werner

2 Kommentare

    • Hallo Stefanie.

      Vielen Dank für das Lob. Ich mag die Hörgeschichte dazu auch sehr gern. Sie ist so schön vorgelesen und perfekt umgesetzt worden.

      Lieben Gruß,
      der Marco

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