076. Der letzte Dinosaurier

Der letzte Dinosaurier

Drakkon saß gemütlich in seinem Sessel und sah aus dem Fenster. Die Sonne ging gerade unter und verwandelte den Himmel in ein rotes Flammenmeer welches sich im Meer darunter spiegelte.
»Ach, sieht das schön aus. Es gibt für mich nichts schöneres, als der Abendsonne zuzusehen, wie sie hinter dem Horizont verschwindet.«
Drakkon legte die Füße hoch und kramte in einem Stapel Zeitungen, die neben ihm lagen. Er nahm die aktuelle Ausgabe zur Hand und blätterte durch die Seiten.
Doch so ganz aktuell war das Blättchen nicht mehr. Es lag bereits seit ein paar Jahren hier herum. Doch danach waren keine weiteren Ausgaben mehr gedruckt worden. Die Zeitung gab es nicht mehr. Und ebenso gab es auch niemanden mehr, der sie hätte drucken können.
Der letzte Dinosaurier war Drakkon. Alle anderen waren ausgestorben. Er war der letzte dieser großen Tiere und lebte nun zurück gezogen auf einer kleinen Insel und genoss seinen Lebensabend.
»Wie viel Zeit mag wohl vergangen sein, seit ich das letzte Mal einen meiner Artgenossen gesehen habe?«, fragte er sich immer wieder.
In solchen Momenten verließ er sein kleines Haus und ging am Strand spazieren. Und so war es auch am heutigen Tag auch wieder.
Er warf ein paar Steinbrocken in das Wasser und sah dem Plätschern zu. Er saß am Ufer und lauschte den Wellen und den kreischenden Möwen.
»Das Leben ist wirklich wunderbar. Wenn ich doch bloß nicht allein wäre.«
Als wenn es jemand gehört hätte, tauchte in diesem Augenblick ein Schiff am Horizont auf. Zuerst sah man nur den Masten, dann die Segel und schließlich auch noch den Rumpf. Es kam von Minute zu Minute näher.
Drakkon war es nicht ganz geheuer, denn er hatte seit einer Ewigkeit keinen Besuch mehr empfangen und wusste nicht, wie er sich nun verhalten sollte. Daher suchte er Schutz in einer kleinen Höhle und beobachtete, was nun geschah.
Das Schiff ging kurz vor der Küste vor Anker und lies ein kleines Boot zu Wasser, in dem merkwürdige kleine Wesen saßen.
»Sie sind so viel kleiner als ich. Ich will sie nicht erschrecken. Vielleicht kommen sie aus einem fremden Land und haben noch nie einen Dinosaurier wie mich gesehen.«
Die Wesen, es waren ganz normale Menschen, gingen kurz darauf an Land. Drakkon hatte noch nie Menschen gesehen, daher hielt er sie für eine Tierart.
Die Menschen machten das kleine Boot am Strand fest, damit es von der Strömung nicht fort gespült werden konnte.
Sie packten einige Kisten auf den Sand, aus denen sie seltsame Gegenstände nahmen.
Drakkon fand dies alles sehr seltsam. Daher blieb er in seiner dunklen Höhle und beobachtete alles ganz genau.
Die Menschen begannen nun sich überall umzusehen. Sie wühlten im Sand herum, sahen sich die Palmen an und sammelten einige Steine ein, bis einer von ihnen etwas entdeckte.
Drakkon wusste sofort, worum es sich handeln musste. Ohne zu zögern, kam er aus seinem Versteck heraus und fand sich bestätigt. Die Menschen hatten sein Haus gefunden.
Was konnte er jetzt unternehmen? Auf der einen Seite wollte er natürlich nicht gesehen werden. Auf der anderen musste er sein Haus beschützen.
Die Menschen standen vor dem Gebäude und sahen es sich mit großer Begeisterung an. Sie liefen im Kreis, klopften die Wände ab, drückten gegen die Tür. Aber sie kamen einfach nicht in das innere. Sie waren zu schwach. Enttäuscht gingen sie zu ihrem Boot zurück und machten eine Pause.
Einer von ihnen schien sich allerdings Gedanken zu machen, wie man in das Haus eindringen könnte. Er machte Pläne, schrieb viele Zettel voll und redete mit seinen Gefährten. Viel konnten sie aber nicht mehr ausrichten, denn der Abend kam und mit ihm die Dunkelheit.
Drakkon atmete auf, suchte seine Höhle auf und machte es sich dort gemütlich. Er wartete die Nacht ab, beobachtete die Menschen und wartete darauf, dass sie eingeschlafen waren. Dann schlich er sich zurück in sein Haus und plante, was nun zu tun sei.

Der nächste Morgen kam. Die Sonne stieg langsam über den Horizont und es wurde heller. Die Menschen wachten auf, aßen etwas und machten sich wieder auf den Weg zum Haus.
Drakkon beobachtete sie dabei aus einem seiner Fenster und freute sich schon. Er hatte sich genau vorgenommen, was er nun machen wollte.
Es dauerte nur ein paar Minuten, bis die Menschen wieder vor der Tür standen. Sie redeten miteinander und hantierten mit Werkzeugen herum. Doch das war gar nicht nötig, wie sie wenig später feststellten. Die Tür stand einen Spalt breit offen.
Sie waren verwundert und ihre Gespräche verstummten sofort. Damit hatten sie niemals gerechnet. Vorsichtig drückte einer von ihnen die Tür weiter auf und schob seinen Kopf durch die Öffnung.
Er sah sich um, zog sich zurück und kam erneut zum Vorschein. Dieses Mal traute er sich, das Haus zu betreten. Die anderen Menschen folgten ihm in einem sicheren Abstand.
Und dann ging alles recht schnell. Sie hörten ein Geräusch aus einem Raum, der sich hinter einer weiteren Tür befand. Zuerst zögerten sie, doch dann hörten sie eine Stimme.
»Fürchtet euch nicht. Ihr seid hier als Gäste willkommen. Tretet, erschreckt euch aber nicht, denn ihr werdet vielleicht euren eigenen Augen nicht trauen.«
Die Stimme klang freundlich und verlockend. Die Menschen zögerten noch einen kurzen Augenblick, öffneten dann aber die nächst Tür und blieben wie angewurzelt stehen. Sie trauten ihren Augen tatsächlich nicht.
Es war still. Doch dann überschlugen sich die Stimmen. Jeder der Gäste meinte nun, etwas sagen zu müssen. Sie sprachen alle durcheinander. Schließlich wurden sie wieder still und ihr Anführer machte einen Schritt vor.
»Sind sie wirklich das, wofür wir sie halten?«
Drakkon konnte sich die Frage genau vorstellen.
»Ja, ich bin ein Dinosaurier.«
Die Menschen waren nun sehr aufgeregt.
»Das ist ja kolossal. Das ist die größte Entdeckung aller Zeiten. Sie sind der erste und einzige lebende Dinosaurier, den wir kennen, der jemals von einem Menschen gesehen wurde. Aber wie ist das nur möglich? Alle anderen sind doch schon längst…«
Der Mensch machte eine Pause und bekam ein rotes Gesicht.
Drakkon lächelte und erschrak über sich selbst. Er hoffte, dass die Menschen sein Lächeln auch als solches erkennen würden, denn nun waren seine großen Zähne alle zu sehen.
»Ich weiß, sie sind schon vor langer Zeit alle verschwunden. Ich bin als einziger übrig geblieben.«
Die Menschen setzten sich zusammen mit Drakkon auf ein großes Sofa und redeten miteinander. Sie erzählten davon, dass auf der ganzen Welt viele Knochen gefunden wurden und man noch immer rätseln würde, wie die Dinosaurier vor so langer Zeit gelebt hätten. Doch alles, was sich die Forscher ausgedacht hatten, schien nun nicht mehr zu gelten.
»Sie müssen uns unbedingt in unsere Welt begleiten.«, sagte einer der Menschen.
»Die anderen müssen sehen, dass es doch noch einen lebendigen Dinosaurier gibt und dass er ganz anders lebt, als wir es uns jemals vorgestellt hatten.«
Drakkon dachte nach. Er sah sich um, blickte durch das Fenster auf das Meer und die Sonne. Dies war seit ewigen Zeiten seine Heimat gewesen. Vielleicht war dies auch der Grund, warum er als einziger noch am leben war.
»Ich kann sie nicht begleiten. Ich bin hier zu Hause. Ich war noch nie fort und möchte es auch nicht. Aber ich lade gerne ihre Forscher zu mir ein. Sie dürfen mich jederzeit besuchen kommen.«
Die Menschen verstanden den Dinosaurier. Aber sie merkten auch, dass er sich etwas unwohl fühlte.

Nach einem langen Tag mit vielen Gesprächen fuhren die Menschen wieder nach Hause. Sie setzten sich in ihr Boot, paddelten zurück zu ihrem Schiff, mit dem sie einen Kurz zurück in ihre Heimat setzten.
Sie hatten Drakkon versprochen, niemandem von diesem Treffen zu erzählen. Denn sonst würde große Menschenmassen auf die kleine Insel kommen, nur um ihn anzusehen. Oder, was noch schlimmer wäre, sie würden ihn einfangen und in einen Zoo einsperren. Das wollten sie ihm nicht antun.
Dafür versprachen sie, eines Tages erneut zu Besuch zu kommen. Damit war der alte Dinosaurier zufrieden.
Zum Abschied winkte er den Menschen ein letztes Mal zu und ging zurück in sein Haus.

(c) 2008, Marco Wittler

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