199. Der Troll

Der Troll

»Um Himmels Willen. Was ist denn hier passiert?«
Die Küchengehilfin stand in der Vorratskammer und hatte die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen. Erst am Abend zuvor hatte sie die Regale und Schränke mit frischen Lebensmitteln aufgefüllt. Doch nun war nichts mehr da. Lediglich ein paar Krümel lagen auf dem Boden verteilt. Alles war fort.
»Wie soll ich das denn dem König erklären? Er verlangt doch in ein paar Minuten nach seinem Frühstück. Er wird mich garantiert bestrafen.«
Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief sie hin und her und wusste sich keinen Rat. Schließlich entschied sie sich, ihren Herrn aufzusuchen und ihm alles zu beichten.
Der König war ein gerechter Mann und hörte der Küchengehilfin aufmerksam zu.
»Wir sind bestohlen worden. Da muss sofort etwas unternommen werden. Ich werde das von meinen Wachleuten untersuchen lassen.«
Der König war der Meinung mit dieser Entscheidung dem Problem auf die Spur zu kommen.
Doch schon am nächsten Morgen war die Vorratskammer aufs Neue geplündert worden.
»Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.«, grummelte der König und setzte sich mit seinen Beratern zusammen.
»Wir müssen dringend etwas unternehmen.«, sagte er entschlossen.
»Wir können nicht jeden Morgen neue Lebensmittel kaufen.«
Nach einigen Stunden kamen sie auf eine Idee. Ein Soldat sollte die ganze Nacht Wache halten.

Die Nacht brach herein. In der Küche war alles ruhig. Doch dann verschwand der Mond hinter dem Horizont und es wurde richtig dunkel.
Plötzlich rumpelte es irgendwo. Der Wachmann bekam Angst, blieb aber auf seinem Posten. Als er aber eine riesige Gestalt vor sich sah, wurde er von der Panik übermannt und lief fort.

»Es war unglaublich. Er war riesig. Er konnte sich bestimmt nur gebückt vorwärts bewegen.«
Es war schon längst wieder hell draußen geworden, aber der Soldat war noch immer kreidebleich im Gesicht.
»Das muss ein Troll gewesen sein.«, erklärte einer der Berater.
Er schlug ein Buch auf, suchte nach einem bestimmten Kapitel und zeigte den anderen ein Bild.
Ein Troll war ein großes Wesen, einem Menschen nicht ganz unähnlich. Er besaß lange, zottelige Haare, einen ungepflegten Bart, rot glühende Augen und einen dicken Bauch. Dazu waren sie sehr gefräßig, häßlich, faul und ziemlich dumm. Zumindest wurde es vom Buch so behauptet.
»Wenn sie einen so großen Hunger haben,«, dachte der König laut, »dann müssen wir nur dafür sorgen, dass sie nichts mehr zu fressen finden. Und es darf niemand erfahren, dass sich diese Kreatur inunserem Heim aufhält. Es darf keine Panik entstehen.«
Er befahl, dass von nun an alle Lebensmittel in einem geheimen Versteck untergebracht werden sollten.

In der folgenden Nacht war die junge Prinzessin noch spät in den Gängen des Schlosses unterwegs. Sie konnte nicht schlafen und wollte sich ein Brot schmieren. Doch als sie die Küche betrat, hörte sie ein leises Schluchzen.
»Hallo? Wer ist denn da?«
Es kam allerdings keine Antwort.
Die Prinzessin setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und entdeckte ein großes menschenähnliches Wesen, das auf dem kalten Boden saß und weinte. Es war ein Troll.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie.
»Ich kann nichts zu Essen finden, habe aber einen riesigen Hunger. Was soll ich denn jetzt machen?«
Die Prinzessin geriet ins Stocken. War es das Wesen, von dem unter vorgehaltener Hand im Schloss geredet wurde?
»Bist du ein Troll?«
Das Wesen nickte.
»Du siehst ganz anders aus, als ich es erwartet hätte. Du bist gar nicht so hässlich, wie man immer sagt. Dumm scheinst du auch nicht zu sein.«
Sie dachte nach und suchte nach einer Lösung. Es tat ihr leid, den Troll so verzweifelt zu sehen.
»Weißt du was? Ich habe eine Idee.«

Am nächsten Morgen betrat der König die Küche. Er wollte persönlich zuschauen, wie seine Angestellten die Vorratskammer befüllten.
Zu seinem Erstaunen stand ein neuer Koch am Herd und rührte in einem großen Topf.
»Du meine Güte, was duftet denn da so?«
Der König trat hinzu, steckte einen Finger in die Suppe und probierte.
»So etwas Köstliches habe ich noch nie geschmeckt. Warum hast du nicht schon früher bei mir gearbeitet?«
Der Troll lachte leise, als er sich eine Antwort überlegte.
»Weil ihr Menschen ein völlig falsches Bild von uns Trollen habt. Wir sind die besten Köche der Welt.«
Nun wurde dem König bewusst, wen er vor sich hatte. Er atmete erleichtert auf, denn ihm wurde klar, dass von nun an nie wieder Lebensmittel ungefragt geplündert würden.

(c) 2009, Marco Wittler

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