239. Der Luftgitarrenwettbewerb

Der Luftgitarrenwettbewerb

Lukas schreckte hoch. Mit einem Mal donnerte Lärm durch das sonst so ruhige Haus. Verwirrt legte er sein Spielzeugauto zur Seite und öffnete vorsichtig die Tür seines Kinderzimmers.
Laute Musik dröhnte ihm entgegen. »Wo kommt das denn her?« Er machte sich auf die Suche und blieb schließlich vor dem Zimmer seines Großen Bruders Tim stehen.
»Was macht der denn da drin? So laut macht er die Musik doch nie an.«
Lukas drückte die Klinke, schob die Tür langsam auf und steckte den Kopf durch den Schlitz. Mitten im Raum stand Tim und bewegte die Arm ganz wild rauf und runter.
»Was machst du denn da? Bist du krank geworden? Muss ich den Notarzt rufen?«
Tim erschrak. Er ließ die Arme fallen, stellte die Musik ab und drehte sich um. Sein hochroter Kopf zeigte, dass ihm, was auch immer er gerate getan hatte, ziemlich peinlich war.
»Das verstehst du noch nicht. Dafür bist du noch zu klein.« wollte er den kleinen Bruder auf den Flur hinaus schieben.
»Wollen wir wetten?« wehrte sich Lukas. »Sag mir einfach, was du da machst. Ich kann das bestimmt besser.«
Tim seufzte, denn er wusste nur zu gut, dass er nicht eher Ruhe bekam, bis Lukas seinen Willen bekam.
»Also gut, Kleiner. Setz dich aufs Bett und sei still. Dann erklär ich es dir.«
Er klickte mit einem Finger auf seine Computermaus. Die Musik ertönte wieder. Dieses Mal aber leiser.
»Das ist Rockmusik. Richtig gute Rockmusik. Da wird ganz viel Gitarre gespielt.«
»Kenn ich doch schon.« winkte Lukas grinsend ab. »Papa hat doch ganz viele von diesen großen, schwarzen CDs im Schrank stehen, die er sich so gern anhört.«
Tim verdrehte die Augen. »Das sind keine CDs. Das sind Schallplatten. Die funktionieren ganz anders. Ist jetzt aber auch egal. Zu dieser Musik gibt es einen Wettbewerb, an dem ich teilnehmen werde. Die Musik kommt von einer CD oder aus dem Computer. Meine Gegner und ich werden dann dazu Gitarre spielen. Also eigentlich tun wir nur so. Wir haben nichts in der Hand. Gitarren sind dabei verboten. Deswegen nennt man das Ganze auch Luftgitarre. Anfänger dürfen sich eine aufblasbare Gitarre mitnehmen. Die haben aber keine Chance gegen uns Profis.«
»Luftgitarre?« Lukas fing an zu lachen. »Und du willst mir ehrlich erzählen, dass das außer dir noch andere machen? Du nimmst mich doch auf den Arm. Das ist doch bestimmt nur wieder so ein Blödsinn, den du dir ausgedacht hast.«
Aber da täuschte er sich, denn Tim zog ihn zum Computer und zeigte seinem kleinen Bruder ein paar Filme von den besten Luftgitarrenspielern der Welt.
»Ist ja irre. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch mehr Verrückte gibt.«
»Und deswegen muss ich noch üben, bevor es heute Abend los geht. Ich will den Hauptpreis haben. Für den Gewinner gibt es nämlich eine echte Gitarre.«
Lukas grinste. »Wetten, dass ich das auch kann? Ich bin bestimmt besser als du.«
Nun musste auch Tim lachen. »Besser als ich? Nie im Leben. Einen Zwerg, wie dich, sieht man ja nicht mal auf der Bühne.«
»Wart nur ab. Ich werde euch alle überraschen.«

Ein paar Stunden später stand Tim vor dem Publikum. Er war ziemlich nervös. Das lag aber auch daran, dass er der letzte Teilnehmer von allen war und vor ihm schon ein paar ziemlich gute Luftgitarrenspieler aufgetreten waren. Trotzdem gab er sein Bestes und wurde vor allem von den Mädels bejubelt.
»Wie ich gerade höre,« war am Ende über die großen Lautsprecher zu hören, » hat sich spontan noch ein weiterer Teilnehmer gemeldet, der nun sein Können unter Beweis stellen möchte. Er hat mir gesagt, dass er etwas ganz Besonderes vorhat. Also bitte ich jetzt um einen großen Applaus für Lukas.«
Das Publikum klatsche, verstummte aber schnell, als ein kleiner Junge auf die Bühne kam. Auf seinen Armen brachte er einen grauen Kater herein.
»Hallo Leute.« sagte er leise in ein Mikrofon. »Ich hab keine passende Musik gefunden, deswegen habe ich meinen Freund Manni mitgebracht, der mir helfen wird.«
Er hielt den Kater hoch und holte dann eine kleine Spielzeugmaus aus der Hosentasche.
Lukas stellte sich breitbeinig hin. Dann hielt er den Kater wie eine Gitarre mit dem rechten Arm. Mit der linken Hand zeigte er ihm die Maus. Nun wurde es still im Publikum. Es wurde so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Langsam zog Lukas die Maus von seinem Kater weg. Das gefiel Manni gar nicht. Also maunzte er leise. Lukas zog die Maus noch etwas weiter weg und Manni maunzte lauter. Es hörte sich fast wie eine echte elektrische Gitarre an.
Nun wurde Lukas immer mutiger. Die Spielzeugmaus bewegte er immer schneller hin und her, während Manni langsam an diesem Spiel gefallen fand. Er maunzte immer lauter, immer schriller und öfter, bis er sie schließlich nach zwei Minuten endlich mit den Zähnen zu fassen bekam. Friedlich verstummte der Kater und begann, genüsslich zu schnurren.
Lukas verbeugte sich, währen das Publikum zu jubeln begann.
Nun kam auch der Preisrichter auf die Bühne. »Ist das nicht unglaublich, Leute? Wär hätte gedacht, dass wir so etwas Verrücktes am heutigen Abend zu sehen bekommen.«
Er holte hinter seinem Rücken eine große, echte Gitarre hervor und wandte sich noch einmal an die vielen Menschen vor der Bühne.
»Ich glaube, dass ihr alle meiner Meinung seid: Die Gewinner des heutigen Luftgitarrenwettbewerbs heißen Lukas und Manni.«
Es wurde laut geklatscht und gegröhlt. Lukas verbeugte sich und nahm seinen Preis entgegen. Dabei grinste er seinem enttäuschten Bruder zu.

(c) 2014, Marco Wittler

Gitarre

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