273. Kleine Nervensägen

Kleine Nervensägen

Kathi saß in ihrem Zimmer und räumte ihren Kasten mit den Malsachen zur Seite. Sie hatte schon seit ein paar Wochen keine Lust mehr auf ihr Hobby.
»Immer wieder das Gleiche. Das ist doch langweilig.«, murmelte sie vor sich hin.
»Außerdem quillen meine Schränke bald über.«
Sie sah sich um. In den Vitrinen, hinter Glasscheiben, standen kleine Sammelfiguren. Manche trugen Schwerter, die anderen machten lustige Gesichter und wieder andere sahen Menschen nicht einmal ähnlich.
Und dann war da noch dieser große Pappkarton. Darin lagerten noch ungefähr zehn weitere Figuren. Sie waren aber noch von oben bis unten weiß. Kathi hatte sie nicht angemalt und die Lust dazu war auch vorbei.
»Vielleicht sollte ich mir ein neues Hobby suchen. Bücher lesen wird mir bestimmt gefallen oder ich schreibe selbst Geschichten.«
Doch da es schon sehr spät war, dachte sie nicht weiter nach und legte sich kurze Zeit später ins Bett und schlief bald ein.

Irgendwann mitten in der Nacht schreckte Kathi aus ihrem Schlaf hoch.
»Was war das?«
Sie hielt den Atem an und lauschte in die Stille hinein.
»Wer ist denn da? Hallo?«
Doch niemand meldete sich. Alles blieb still. Also zog sich Kathi wieder die Decke bis über die Nase und schlief wieder ein.
Es dauerte allerdings nicht lange, bis sie wieder geweckt wurde.
»Dieses Mal habe ich es genau gehört. Da ist doch jemand in meinem Zimmer.«
Sie schaltete die kleine Lampe auf dem Nachttisch an und sah sich um. Aber es war niemand zu sehen. Alles sah so aus, wie es am Abend gewesen war.
Wirklich alles?
»Moment mal. Da stimmt doch etwas nicht.«
Zwei Glastüren ihrer Vitrine standen ein Stück auf und mehrere ihrer Figuren fehlten.
»Hilfe, ich wurde beklaut.«
Sofort wollte sie aufstehen. Sie richtete sich auf und wollte gerade das Bett verlassen, als sie eine Stimme hörte.
»Hey, pass auf. Du bist nicht allein auf der Welt. Nimm Rücksicht auf uns und halt deine Füße woanders hin.«
Kathi erschrak. Was war das für eine Stimme gewesen. Sie warf einen vorsichtigen Blick vor ihr Bett und entdeckte ihre Figuren.
»Ihr lebt und könnt sprechen?«, fragte sie unsicher.
»Was denkst du denn? Könntest du uns sonst hören?«, kam die knappe Antwort von einem kleinen Krieger.
»Aber was macht ihr denn? Ihr könnt doch nicht einfach abhauen, ohne mir Bescheid zu sagen.«
Da meldete sich eine zweite Stimme.
»Wir hauen doch gar nicht ab.«
Ein kleiner Kobold kam unter dem Bett hervor. In seiner Hand schwang er eine Axt und sah ziemlich grimmig aus.
»Wir verteidigen nur unser Königreich gegen die weiße Armee.«
Kathi war verwirrt und verstand gar nichts mehr. Deswegen verdrehte der Kobold seine Augen.
»Weißt du denn gar nichts? Das sind diese fiesen Kerle, die dort drüben den großen Pappkarton bewohnen.«
Nun fiel es Kathi wieder ein. Die neuen Figuren waren gemeint.
»Aber was ist denn so schlimm an ihnen?«, fragte sie neugierig.
Sofort stemmte der Krieger die Arme in die Seiten.
»Sie sind nicht so schön bunt wie wir. Die passen einfach nicht zu uns. Das geht einfach nicht. Deswegen vertreiben wir sie.«
Kathi seufzte und erklärte ihren Figuren, dass sie alle selbst einmal weiß gewesen waren.
»Wisst ihr was?«, schlug sie irgendwann vor.
»Ich werde jetzt aufstehen und wieder mein Malzeug raus holen. Dann seid ihr alle wieder gleich und niemand muss mehr aus eurem Königreich geworfen werden.«
Damit gab sich dann auch der grimmige Kobold zufrieden, obwohl er mittlerweile auch verstanden hatte, dass er, seine Freunde und die weißen Figuren alle gleich waren, egal welche Farbe sie hatten.

(c) 2009, Marco Wittler

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