400. Die hungrige Raupe

Die hungrige Raupe

Die kleine Raupe Lilli lief auf der Wiese hin und her. Sie war auf der Suche nach frischen, leckeren Blütenblättern. Aber nirgendwo waren welche zu finden. Ein Bauer hatte am Tag zuvor das Gras gemäht.
»Wie soll ich denn nun etwas zu Fressen finden? Ich werde verhungern und nie zu einem wunderschönen Schmetterling werden.«
Eine dicke Krokodilsträne lief an ihrer Wange herunter und sie begann laut zu schluchzen.
In diesem Moment kam eine Biene vorbei geflogen. Sie hörte die weinende Raupe und landete.
»Hallo, kleine Raupe, was ist denn mit dir los?«
Die Raupe schniefte, wischte sich die Nase mit ihrem Ärmel sauber und antwortete.
»Ich habe großen Hunger, aber es gibt auf unserer Wiese keine einzige Blume mehr. Ich muss verhungern und sterben.«
Die Biene hörte sich die Sorgen an und nickte immer wieder.
»Nicht weit von hier ist noch eine Wiese. Sie liegt auf der anderen Seite des Bachs. Du musst nur zur anderen Seite, dann kannst du so viel fressen, wie du willst.«, schlug sie vor.
»Aber wie soll ich denn auf die andere Seite kommen?«, wollte die Raupen wissen.
»Ich habe keine Flügel und kann nicht fliegen. Schwimmen kann ich auch nicht.«
Sie seufzte einmal ganz laut und dann noch ein weiteres Mal. Daran konnte die Biene leider auch nichts ändern. Sie verabschiedete sich und wünschte der Raupe viel Glück, dass sie doch noch etwas zu Fressen finden würde.
Lilli trottete langsam zum Bach, in der Hoffnung, einen Weg hinüber zu finden. Bei ihrem langen Marsch hing ihr Magen immer tiefer und knurrte immer lauter, bis schließlich das Plätschern des Wasser alles übertönte.
»Ach je, was soll ich bloß machen? Ich werde es nie über das Wasser schaffen.«
Die kleine Raupe sah sich um. Auch hier gab es keine Blütenblätter zum Fressen. Nur ein paar Pusteblumen, die nicht gemäht worden waren.
»Die schmecken auch nicht.«
Plötzlich waren Schritte zu hören. Ein Mensch näherte sich. Lilli suchte sofort Schutz hinter einem Stein. Sie wollte nicht von einem Schuh zertreten werden. Ein paar Augenblicke sah sie dann ein Kind. Es lief auf die Pusteblumen zu, riss eine davon ab und blies die Samen in die Luft. Wie eine Gruppe Fallschirmspringer flogen sie weit weg, auf die andere Seite des Flusses.
Lilli beobachtete diesen wunderschönen Flug ganz genau und träumte sofort davon, sich eines Tages als Schmetterling ebenfalls in die Lüfte zu erheben.
»Moment mal.«, sagte sie dann zu sich selbst.
»Ich hab da eine ganz verrückte Idee.«
Schnell krabbelte sie zur nächsten Pusteblume, kletterte am Stiel hinauf und hielt sich an den Blumensamen fest. Im gleichen Augenblick packte das Kind die Blume, riss sie ab und blies kräftig darauf.
Die Samen lösten sich von der Blume und segelten langsam und gemütlich durch die Luft.
»Juhuu!«, jubelte Lilli laut. Nun schwebte sie doch noch auf die andere Seite des Bachs. Doch bevor sie mit ihrem Fallschirm landete, bewunderte sie die Schönheit der anderen Wiese. Überall standen Blumen in allen Farben des Regenbogens.
»Jetzt muss ich nie wieder hungern.«, freute sich die kleine Raupe.
»Jetzt werde ich doch noch ein wunderschöner Schmetterling.«

(c) 2012, Marco Wittler

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