104. Eine Nacht im Wald (Tommis Tagebuch 5)

Eine Nacht im Wald

Hallo, liebes Tagebuch. Ich bin es, der Tommi.
Fühlst du dich eigentlich wohl? Du liegst ja heute in einem fremden Bett und einem fremden Kopfkissen. Und fragst dich bestimmt, wie das denn passieren konnte.
Dann erzähl ich dir mal wie das gekommen ist.
Mama und Papa haben mich jetzt bei einer Kindergruppe angemeldet. Meine Schwester Nina macht das ja schon länger, aber ich war bisher immer zu klein dafür. Aber jetzt bin ich ein großer Junge und darf das auch.
Seit einer Woche gehöre ich jetzt dazu und schon stand etwas ganz Besonderes auf dem Plan. Dieses Wochenende übernachten wir in einer kleinen Hütte, die mitten im Wald steht. Eine Nacht haben wir schon hinter uns, die zweite fängt heute Abend an. Und deshalb liegst du jetzt in einem fremden Bett. Aber du musst keine Angst haben, denn ich bin ja auch hier.
Wir kamen gestern am späten Nachmittag hier an. Wir teilten uns sofort auf die beiden Zimmer auf und suchten uns die besten Betten aus. Hier sind drei Betten übereinander gebaut. Und ich darf ganz oben schlafen. Das ist richtig aufregend. Beim Beziehen des Bettzeugs mussten mir die anderen aber noch helfen. Das habe ich ja auch noch nie selber gemacht. Dafür gibt es doch zu Hause die Mama.
Kurz darauf gab es Abendessen. Riesige Berge Brot lagen auf dem großen Tisch. Dazu gab es alle möglichen Sorten Aufschnitt. Das war richtig lecker. Mit so vielen anderen Kindern macht alles einfach doppelt so viel Spaß.
Nach dem Spülen spielten wir noch ein wenig, um uns gegenseitig besser kennen zu lernen. Danach ging es ab ins Bett. Aber irgendwie passte da etwas nicht. Es gab fünfzehn Betten und wir waren fünfzehn Jungs. Die drei Gruppenleiter mussten dann in Schlafsäcken im Essraum schlafen.
Der erste Tag mitten im Wald war so aufregend gewesen, dass wir alle ziemlich schnell einschliefen.

Irgendwann tief in der Nacht wurde ich plötzlich wieder wach. Ich dachte erst, es gäbe bald Frühstück, aber auf meiner Uhr war es zwei Uhr.
Es war lauter Krach, der mich geweckt hatte. Draußen vor der Hütte wurde so viel Lärm gemacht, dass wir alle Angst bekamen.
»Da draußen sind bestimmt ganz fiese Verbrecher.«, flüsterte Nico.
»Ach Quatsch. Das sind wilde Tiere, die uns fressen wollen.«, behauptete Andi.
Die größte Angst hatte allerdings Lukas. »Das können nur Geister sein. Die machen immer solche Geräusche.«
Aus irgendeiner Ecke war sogar ein ›Ich will sofort nach Hause zu meiner Mami.‹ zu hören.
Sehen konnten wir gar nichts, denn die Fenster waren mit Holzläden verschlossen.
In diesem Moment kamen unsere Gruppenleiter herein. Sie wollten uns beruhigen. Wir bräuchten keine Angst haben. Sie würden gleich die Polizei rufen.
Da stellte ich mir die Frage, ob Polizisten wirklich Geister oder hungrige Raubtiere vertreiben könnten.
Michael, der älteste Leiter hatte gerade sein Handy ans Ohr gehoben, als er plötzlich etwas hörte und dann anfing zu lachen.
»Das sind weder Verbrecher, noch böse Tiere oder Geister. Da draußen sind ein paar Freunde von uns aus einer anderen Gruppe. Die machen nur einen Spaßüberfall.«, sagte er erleichtert.
Oh, man. Da waren wir alle beruhigt. Jetzt wurde es richtig aufregend, denn die da draußen hatten etwas ganz Bestimmtes im Sinn. Sie wollten unsere Gruppenfahne klauen. Doch so einfach durften wir es ihnen nicht machen. Unsere Waldhütte musste mit allen Mitteln verteidigt werden.
Wir zogen uns alle an und bewaffneten uns mit Wasserpistolen. Schon nach ein paar Minuten waren wir bereit, einen Gegenangriff zu starten. Der Michael gab uns ein Zeichen, dass wir die Fensterläden öffnen sollten. Wir durften mit dem Wasser auf alles schießen, was sich da draußen bewegte. Es mussten mindestens zehn Angreifer sein. An uns kamen sie aber nicht heran. Sie wollten sich nämlich nicht nass spritzen lassen.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis der erste Angriff vorbei war. Wir wurden nur mit ungefährlichen Wasserbomben beworfen, die aber alle an der Hüttenwand zerplatzten. Nicht einer von uns wurde getroffen.
Draußen wurde es schließlich still und unsere Gegner verzogen sich.
»Wir haben es geschafft und gegen sie gewonnen.«, jubelte ich laut.
Doch in diesem Moment landete ein Papierflieger in unserem Zimmer. Ich faltete ihn auseinander und las eine Botschaft vor.
Wir haben einen von euch geschnappt und mit in den Wald genommen. Er darf nur zu euch zurück kehren, wenn ihr uns eure Fahre gebt. Einer von euch soll damit allein auf den Waldweg kommen.‹
Alle lachten erst, weil wir niemanden vermissten. Doch irgendwer musste doch entführt worden sein. Wir liefen schnell zu Michael, um ihn zu fragen, was wir jetzt machen sollten. Aber wir fanden ihn nirgendwo. Er musste sich versteckt haben oder bereitete sich auf den nächsten Angriff vor. Aber er war in keinem der wenigen Räume zu finden.
»Oh, man, was sind wir doch dumm.«, rief plötzlich Andi.
»Sie haben Martin mitgenommen. Deswegen finden wir ihn nicht. Alle anderen sind schließlich noch hier.«
Wir schlugen uns alle mit der Hand vor die Stirn. Aber was sollten wir jetzt machen? Wir setzten uns alle zusammen mit den beiden anderen Leitern, Stefan und Alexander, in den Gruppenraum, um uns zu beraten. Uns fiel allerdings nichts ein, wie wir gegen zehn große Jungs gewinnen sollten.
Wir einigten uns also darauf, aufzugeben und die Fahne auszuhändigen.
Als Kurier wurde ich ausgewählt. Stefan faltete die Fahne ordentlich zusammen, steckte sie in eine Tasche und schickte mich vor die Tür. Durch ein Fenster leuchtete er mir dann den Weg, damit ich nicht über irgendwas stolpern konnte.
Als ich gerade auf dem Weg stand, kamen schon drei große Jungs aus den Büschen gestürmt. Sie umstellten mich und warfen einen Blick in den Beutel.
»In Ordnung.«, sagte einer von ihnen.
»Die Fahne ist drin.«
Sie nahmen sie mir ab und gaben ein Zeichen in die Dunkelheit. Daraufhin kam ein vierte Junge aus den Büschen und brachte Martin mit. Dieser war an den Händen gefesselt, wurde aber nun frei gelassen.
»Die Fahne könnt ihr euch dann am Sonntag Abend im Vereinsheim abholen, wenn ihr wieder nach Hause kommt.«
Sie lachten und verschwanden wieder im Wald.
Etwas enttäuscht saßen wir später alle im Gruppenraum und redeten noch einmal über alles, bevor wir wieder ins Bett gingen. Dort sahen wir dann etwas, worüber wir alle lachen mussten.
Tim, der kleinste in unserer Gruppe lag im Bett und schlief. Er hatte doch tatsächlich das ganze Überfallabenteuer verschlafen und nichts davon mitbekommen. Als wir ihn dann heute morgen wach machten, war er ganz enttäuscht, nicht dabei gewesen zu sein.

So, das war es dann auch. Ich muss nämlich jetzt Schluss machen, weil es gleich Mittagessen gibt.

Dein Tommi.

(c) 2008, Marco Wittler

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