139. Ein Rennen auf Schienen

Ein Rennen auf Schienen

Irgendwo im Herzen unseres schönen Landes gab es zwei Städte. Diese beiden waren so klein, dass man sie nur in der jeweils anderen kannte. Denn Beide waren mit einer Eisenbahnlinie verbunden. Zwischen Altenburg und Neuenstadt verlief ein einzelnes Gleis auf dem den ganzen Tag über ein Zug, von früh bis spät, hin und her fuhr. Morgens brachte er die Menschen zur Arbeit und abends holte er sie wieder ab. So ging es das ganze Jahr.
Nun mag man sich denken, dass es doch ziemlich langweilig sein musste, jeden Tag die selbe Strecke zu befahren. Für viele Menschen und den Lokführer mochte das auch so gewesen sein. Aber für die alte Dampflok Lukas war es eine der schönsten Beschäftigungen der Welt.
Nun befand sich Lukas allerdings schon seit ein paar Jahren im Ruhestand. Doch statt im Schuppen vor sich hin zu rosten, fuhr er tagtäglich auf dem Grundstück der Grundschule im Kreis. Alle Kinder durften in den Pausen in kleinen Anhängern Platz nehmen und umsonst mitfahren.
Das alles wurde ziemlich misstrauisch von der Diesellok Arno angesehen. Er hatte Lukas aus seiner alten Aufgabe verdrängt, da eine Diesellok viel kräftiger war, als eine kleine Dampflok. Arno hatte sich schon gefreut, so eine alte Lok auf das Abstellgleis zu verweisen. Er hatte sich schon Wochen vor seiner Auslieferung vorgenommen, jeden Tag am Lokschuppen vorbei zu fahren, und Lukas auszulachen. Aber nun war alles anders gekommen.
Jeden Morgen, wenn der Zug von Altenburg nach Neuenstadt fuhr, grüßte die Dampflok ihren Nachfolger. Doch die Diesellok schaute nur verächtlich in die andere Richtung.
»Mit so einem alten Stück Rost will ich nichts zu tun haben.«
Mit der Zeit wurden die beiden kleinen Städte immer größer. Es wurden viele Kinder geboren und es zogen auch Menschen von außerhalb hierher. Irgendwann wurde es notwendig, ein zweites Gleis zu bauen, um einen zweiten Zug fahren zu lassen. Anders wären die Menschen nicht mehr pünktlich zu ihrer Arbeit gekommen.
An einem Montag Morgen saßen die Bürgermeister von Neuenstadt und Altenburg zusammen und berieten über den Kauf einer neuen Lok und neuen Waggons.
»Es muss unbedingt eine neue Diesellok her.«, schlug der eine vor.
»Das ist doch viel zu teuer. Ich denke, es ist günstiger, wenn wir die alte Dampflok wieder auf die Gleise stellen.«, sagte der andere.
»Aber die Dampflok ist doch viel zu alt. Sie reicht gerade noch aus, um ein paar Kinder über den Schulhof zu ziehen. Wie soll denn dann eine große Gruppe Arbeiter hin und her transportieren. Das ist doch völlig unmöglich.«
Sie konnten sich nicht einigen. Jeder wollte den anderen von seiner Meinung überzeugen. Also schrieben sie einen langen Artikel für die Zeitung. Sie wollten heraus finden, wie sich die Bewohner der beiden Städte entscheiden würden.
Diesel oder Dampf, das war nun die wichtigste Frage auf allen Straßen. Egal wo man auch entlang kam, die Menschen redeten über nichts anderes. Aber trotzdem gab es keine klare Meinung. Manch einer schlug sogar vor, auf beides zu verzichten, um eine moderne elektrische Eisenbahn zu kaufen. Doch dafür fehlten die Stromkabel.
Schließlich kam eine pfiffige Idee aus der Grundschule. Ein paar Kinder hatten sich ebenfalls Gedanken über die Zukunft der Eisenbahnlinie gemacht. In einem Brief an die zwei Bürgermeister machten sie einen guten Vorschlag:

Liebe Herren Bürgermeister.
Auch in unserer Schule wird viel über die Lokomotiven geredet. Wir Kinder sind der Meinung, dass es ein Rennen zwischen Dampf und Diesel geben sollte. So finden sie heraus, was wirklich besser ist.

Die Bürgermeister waren begeistert. Sofort am nächsten Tag ließen sie Lukas von einem großen Kran auf die Gleise stellen. Er bekam, wie sein Konkurrent auch, einen großen Eisenbahnwaggon angehängt, der mit ganz vielen Menschen besetzt war.
Wer keinen Sitzplatz mehr bekommen hatte, sah sich das Rennen am Rande der Bahnstrecke an.
Auf das Kommando der Grundschuldirektorin ging es los. Die Diesellok zog sofort kräftig an und bekam viele Meter Vorsprung, während Lukas nur langsam schnaufend vorwärts kam. Doch das sollte sich sehr schnell ändern.
Die kleine Dampflok wurde mit jeder Minute schneller und holte bald auf.  Arno sah das ganz genau und überlegte sich schnell einen Plan. Er wurde etwas langsamer und ließ Lukas aufholen. Als sie auf einem Bahnübergang nebeneinander her fuhren, drängte die Diesellok ihren Gegner von der Strecke ab.
Lukas hüpfte erschrocken aus den Gleisen und fand sich plötzlich auf der Straße wieder. Von hier ging es steil bergab. Also rollte der ganze Zug weiter. Die Mitfahrer hofften nur, nicht mit einem Auto oder einer Hauswand zusammen zu stoßen.
Arno fühlte sich sehr siegessicher. Gemütlich fuhr er um eine Kurve herum und dann einen langen, aber sanften Abhang herab. Nun konnte er gar nicht mehr verlieren.
Doch was war das?
»Träume oder wache ich? Das kann doch gar nicht möglich sein.«, rief er sich selber zu.
Einige hundert Meter vor ihm war ein Bahnübergang. Er war durch eine Straße mit einem zweiten Bahnübergang auf der Spitze des Berges verbunden. Von dort oben raste nun die kleine Dampflok herunter, hüpfte wieder in die Gleise und fuhr nur eine Minute später in den Bahnhof ein.
Lukas hatte doch noch gewonnen, während sich die Diesellok grün und blau ärgerte.

Schon am nächsten Tag wurde in den Rathäusern eine Entscheidung gefällt. Die Bürgermeister waren sich einig geworden, dass eine Dampflok doch besser für die Eisenbahnstrecke war.
»Und damit ein Zug nicht langsamer ist, als der andere,«, sagte der Bürgermeister aus Altenburg.«
»schieben wir die Diesellok in den alten Schuppen und kaufen uns eine zweite Dampflok.«, beendete der Bürgermeister aus Neuenstadt die Neuigkeiten.

(c) 2008, Marco Wittler

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