215. Das Licht des Mondes oder „Papa, warum fliegen die Motten immer zum Licht?“ (Papa erklärt die Welt 29)

Das Licht des Mondes
oder ›Papa, warum fliegen die Motten immer zum Licht?‹

Es war spät geworden. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und der Mond zog einsam seine Bahn durch das unendliche Sternenmeer.
Sofie saß an ihrem Fenster und wartete bereits auf Papa, der ihr noch eine Geschichte erzählen wollte. Doch es dauerte noch ein paar Minuten, bis er das Zimmer betrat.
»Was schaust du dir denn da draußen an?«
Sofie drehte sich nicht um, winkte Papa aber herbei.
»Sieh dir das mal an. Da draußen fliegen ganz viele Motten immer wieder um die Laterne herum. Tanzen sie dort vielleicht? Und bei den anderen Laternen sieht es auch nicht anders aus.«
Papa sah aus dem Fenster und zuckte mit den Schultern. Doch mit solch einer Antwort wollte sich Sofie nicht zufrieden geben. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Papa, warum fliegen die Motten immer zum Licht?«
Papa hielt inne, kratzte sich am Kinn und dachte nach.
»Das ist eine gute Frage. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig von ein paar Motten. Und die werde ich dir jetzt erzählen.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«

Es war einmal eine kleine Motte mit dem Namen Fritz.
Fritz Motte stand vor dem Spiegel und betrachtete sich von allen Seiten. Er hatte sich richtig schick gemacht und war der Meinung, nun endlich perfekt auszusehen. Denn am heutigen Abend wollte er seiner großen Liebe einen Heiratsantrag machen.
Er hatte sich mit seiner Freundin Friederike am großen einzelnen Baum auf einer Lichtung im Park verabredet.
»Folge einfach dem schimmernden Licht des Mondes.«, hatte sie gesagt. »Dann wirst du mich finden, mein Liebster.«
Und so machte sich Fritz auf den Weg. Er verließ das Haus, spannte seine kleinen Flügel weit auseinander und flog los.
Zuerst musste er sich ein wenig orientieren. Er stieg weit hinauf zum Himmel, bis er den Mond leuchten sah.
»Da ist er ja.«
Nun wusste er, in welche Richtung er fliegen musste. Nach ein paar Minuten sollte er den Baum und damit seine Braut, erreicht haben. Doch schon nach kurzer Zeit, stieß er sich am Mond den Kopf.
»Autsch. Was ist denn das?«
Er flog ein weiteres Mal auf das Licht zu, schließlich hatte er gelernt, dass der Mond so weit entfernt war, dass keine Motte ihn jemals erreichen könnte. Doch auch diesmal stieß er sich ein weiteres Mal.
»Verdammt, das kann doch gar nicht wahr sein. Der Mond ist direkt vor mir. Wie kann er mir dann noch den Weg weisen? Ich bin doch noch gar nicht am Baum der Liebe angekommen.«
In seiner Verzweiflung flog er immer wieder auf das helle Licht zu. Irgendwann musste er einfach weiter voran kommen und den restlichen Weg finden.
Es wurde immer später. Die Minuten und Stunden rannen davon. Fritz bekam immer größere Angst, dass seine Freundin irgendwann die Geduld verlieren würde.
Nach einer ganzen Weile kam ein dicker Brummer vorbei geflogen.
»Hey, kleine Motte, was machst du denn da?«
»Ich fliege dem Mond entgegen, um meinen Weg zu finden, aber ich komme einfach nicht vorwärts. Ich bin schon völlig aus der Puste.«
Der Brummer musste laut lachen.
»Du bist mir ja ein komischer Geselle.«
Er nahm sich die Motte beiseite und setzte sich mit ihr auf einen Ast in der Nähe.
»Schau mal in diese Richtung dort. Das ist der Mond, dem du entgegen geflogen bist. Und wenn du jetzt mal in die andere Richtung siehst, entdeckst du dort den richtigen Mond. Du bist die ganze Zeit um eine Laterne geflogen. Die wurde von den Menschen aufgestellt, um die Straße zu beleuchten. Aber sie verwirren uns Insekten nur. Ich habe mehrere Tage zugebracht, bis ich hinter dieses Geheimnis gekommen bin.«
Fritz sah ein paar Mal nach Links und nach Rechts.  Zuerst wollte er nicht glauben, was er sah. Doch dann akzeptierte er seinen Fehler.
»Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich muss sofort los, damit ich meine Braut treffen kann.«
Fritz schlug mit seinen Flügel so kräftig, wie er konnte. Er sauste dem Mond entgegen und sah sich nach dem Baum um. Zum Glück erreichte er sein Ziel schon nach wenigen Minuten. Als er landete entdeckte er sofort Friederike. Noch bevor sie sich über seine Verspätung beschweren konnte, versuchte er ihr zu erklären, was geschehen war.
»Du glaubst ja nicht, was mir gerade passiert ist.«
Doch seine Freundin wollte davon nichts hören. Mit einer süßen Stimme stellte sie ihm eine Frage.
»Bist du denn nicht aus einem anderen Grund hierher gekommen?«
Da fiel es Fritz wieder ein.
»Willst du mich heiraten?«
Friederike fiel ihrem Fritz um den Hals, küsste ihn und antwortete mit einem Ja.

Sofie sah wieder aus dem Fenster und beobachtete die verwirrten Motten unter den Laternen.
»Und das ist der Grund, warum sie zu jedem Licht fliegen, dass sie sehen?«
Papa nickte.
»Und nun ab ins Bett mit dir.«
Er deckte seine kleine Tochter zu, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und wünschte ihr schöne Träume. Während er das Licht abschaltete und das Zimmer verließ, hörte er noch einmal Sofies kichernde Stimme.
»Ich glaube dir kein Wort davon.«

(c) 2009, Marco Wittler

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