667. Ein Einhorn

Ein Einhorn

Anfang Dezember saß die Familie im Wohnzimmer beisammen. Die Töchter Marie und Sophie hatten bereits ihre Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben und übergaben sie nun Mama, damit sie in die Post gehen konnten.
»Ich habe dieses Jahr auch einen Wunsch.«, sagte Mama mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
»Ich wünsche mir ein Einhorn. Das wollte ich immer schon mal haben.«
Papa stockte der Atem. »Ähm … also … naja.«, stotterte er.
»Du weißt aber schon, dass man zu Weihnachten keine Tiere verschenken soll? Die meisten davon werden früher oder später wieder ausgesetzt. Das hört man jedes Jahr im Fernsehen und im Radio.«
»Ja, ich weiß.«, antwortete Mama. »Aber wann soll ich es mir denn sonst wünschen? Ein Einhorn ist halt nicht so einfach zu beschaffen. Und wenn das einer schafft, dann nur der Weihnachtsmann. Oder willst du das vielleicht übernehmen?«
Papa schüttelte sofort den Kopf. Ein Einhorn? Wo sollte er denn eins finden? Die gab es in keinem Supermarkt.
»Na also. Deswegen soll sich der Weihnachtsmann darum kümmern.«
Mama nahm sich einen Zettel und einen Stift und begann, einen eigenen Wunschzettel zu schreiben.

Ein paar Wochen später war es dann so weit. Die Familie feierte Weihnachten und saß wieder gemeinsam am Tisch. Das Abendessen war bereits verspeist. Der Nachtisch auch. Fast jedenfalls. Mama schleckte noch an einem Eishörnchen, während Marie und Sophie schon ungeduldig auf ihren Stühlen hin und her rutschten.
»Wann machen wir denn endlich die Bescherung?«, fragten sie immer wieder. »Wir halten es kaum noch aus.«
Aber Mama ließ sich so richtig viel Zeit.
»Ihr könnt ruhig noch auf mich warten. Ich esse gerade meinen Nachtisch und möchte ihn noch eine Weile genießen. Außerdem bekomme ich meinen Wunsch dieses Jahr eh nicht erfüllt.«
Sie zeigte auf die Pakete, die unter dem Weihnachtsbaum lagen.
»Jedes einzelne davon ist viel zu klein für ein Einhorn.«
»Tja.«, sagte Papa und grinste. »Vielleicht war dein Wunsch einfach zu groß oder der Weihnachtsmann konnte einfach kein Einhorn finden. Musst du dir halt im nächsten Jahr etwas anderes wünschen.«
Nun grinste Mama auch. »Ich werde mein Einhorn schon bekommen.«
Sie schleckte ein letztes Mal über ihr Eis und klatschte es dann Papa auf die Stirn.
»So.«, triumphierte Mama lachend. »Jetzt bist du mein einzigartiges Einhorn.«
Dann drückte sie ihm einen dicken Kuss auf die Wange und war glücklich und zufrieden.

(c) 2018, Marco Wittler

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