730. Der verlorene Penny (Hannes geht auf Reisen 01)

Der verlorene Penny

Im Regal eines kleinen Spielwarengeschäfts in Köln saß ein kleiner roter Bär mit Namen Hannes und langweilte sich. Während regelmäßig die anderen Spielzeuge gekauft wurden, blieb er wo er war.
Tag ein Tag aus saß er still auf seinem Platz und rührte sich nicht. Es hätte die Menschen bestimmt verwirrt, wenn Hannes quer durch den Laden spaziert wäre, denn Spielzeuge bewegen sich nur, wenn ihnen niemand dabei zuschaut.
Deswegen blieb Hannes nichts anderes übrig, als von morgens bis abends aus dem Schaufenster zu starren und in der Nacht einsame Spaziergänge zwischen den Regalen zu unternehmen.
Eines Tages, der rote Bär blickte wieder nach Draußen, erspähte er plötzlich ein rötliches Glitzern. Die Strahlen der Sonne spiegelten sich in etwas Glänzendem.
Sofort war Hannes Neugier geweckt. Deswegen ließ er den Gegenstand nicht mehr aus den Augen. Er wollte unbedingt wissen, was da auf dem Boden lag. Jedes Mal, wenn ein Mensch vorbei ging, hatte er Angst, dass das Glitzerding gefunden oder von einem Fuß in den nächsten Gulli getreten werden konnte.
Stunde um Stunde saß der rote Bär im Regal und wartete ungeduldig auf den Abend.
Pünktlich um achtzehn Uhr sollte das Spielwarengeschäft verschlossen werden. Die letzte Verkäuferin sah noch einmal in den Gängen nach dem Rechten. Dann trottete sie müde zur Ausgang.
Das war der Moment, auf den Hannes gewartet hatte. Leise sprang er von seinem Platz aus zum Boden, flitzte auf leisen Sohlen der Frau hinterher, überholte sie und stahl sich auf die Straße.
Jetzt musste er nur noch den Gegenstand finden, einsammeln und zurück in den Laden gehen. Doch da fiel schon die Tür ins Schloss. Der Schlüssel wurde doppelt herum gedreht. Der Laden war verschlossen.
Hennes erschrak. Wie sollte er jetzt zurück kommen? Er dachte kurz nach, zuckte dann aber mit den Schultern. Er würde sich wohl über Nacht irgendwo verstecken und bis zum Morgen warten müssen. Doch jetzt galt seine volle Aufmerksamkeit erstmal dem Glitzerding.
Da! Da lag es. Hannes lief los, umrundete ein paar Füße, die ihm blind entgegen kamen und erreichte sein Ziel nach wenigen Metern.
Vor ihm lag ein kleiner Taler, eine Münze. Hannes hob sie auf und besah sie sich von allen Seiten.
‚One Penny‘ stand vorn drauf geschrieben.
»Penny?«, fragte sich Hannes. »Hab ich ja noch nie gehört. Hier bei uns gibt es doch nur Euro und Cent. Du musst von weit weg kommen.«
Der rote Bär malte sich aus, was der kleine Penny wohl schon alles erlebt und gesehen haben musste. Wo war er wohl schon überall gewesen und vermisste er seine Heimat?
Heimat. Hm. Hannes dachte nach. Der kleine Penny hatte ganz bestimmt Heimweh, auch wenn er das nicht aussprechen konnte.
»Weißt du was?«
Hannes beugte sich nach unten und flüsterte der Münze leise etwas zu.
»Ich werde dich nach Hause bringen.«
Dann steckte er den Penny ein und sah sich nach einer Idee um.
Genau in diesem Moment bog ein Bus um die Ecke. Über der riesig großen Frontscheibe stand »Flughafen Köln/Bonn« geschrieben.
»Hey!«, jubelte Hannes. »Das ist perfekt. Mit dem Flugzeug geht es besonders schnell.«
Der Bus hielt. Ein paar Menschen kamen herbei geeilt und traten durch die Tür. Hannes, der zu klein zum Einsteigen war, klammerte sich an der Hose eines Mannes fest und ließ sich in den Bus tragen. Dort angekommen, versteckte er sich unter den Sitzen und wartete darauf, sein erstes Ziel zu erreichen.
Eine Stunde später stand er vor der großen Flughafengebäude. Hier war es hektisch, voller Menschen und unübersichtlich. Wohin sollte der rote Bär gehen? Vor sich sah er einen Schalter neben dem anderen. Es ging in andere deutsche Städte, nach Spanien, in die Türkei und in viele andere Urlaubsorte. Aber wie kam man von hier aus nach England?
Hannes war überfordert und wusste nicht, was er machen sollte. Da hörte er plötzlich ein sich unterhaltendes Ehepaar in seiner Nähe. Sie sprachen in Englisch.
»Was für ein Zufall.«, freute er sich und lief vorsichtig zu den Menschen hinüber.
Ein Blick zum Koffer genügte. Hannes sah auf einem Schild den Zielflughafen stehen. ‚London‘. Besser konnte es gar nicht laufen.
Der rote Bär kletterte vorsichtig am Hosenbein des Engländers hinauf und versteckte sich in dessen Jackentasche. Von da an bewegte er sich nicht mehr und verhielt sich mucksmäuschenstill.
Jetzt konnte er nur noch warten und hoffen, nicht entdeckt zu werden.
Kurze Zeit später machte sich das Ehepaar auf den Weg zu ihrem Flugzeug. Dabei mussten sie auch eine Sicherheitsschleuse passieren, in der sie sehr genau unter die Lupe genommen wurden.
»Was befindet sich in ihrer Tasche?«, wurde der Mann gefragt.
»In meiner Tasche ist nichts.«, antwortete er, griff trotzdem hinein und fand Hannes.
»Oh, ein Teddybär. Den muss mir meine Tochter heimlich hinein gesteckt haben.«
Der Sicherheitsmann lachte und winkte das Ehepaar durch. Hannes, der extrem erschrocken war und nun befürchtete, in Köln bleiben zu müssen, wurde zurück in die Tasche gesteckt und vom Engländer schnell wieder vergessen.
»Puh! Nochmal Glück gehabt.«

Zwei Stunden später kam der rote Bär endlich in England an. Er hatte in der Jackentasche noch eine Weile auf den beginnenden Flug warten müssen. Nun befand er sich in der londoner Ankunftshalle.
Vorsichtig lugte er aus der Jackentasche heraus und freute sich riesig.
»Hier sind wir richtig.«, flüsterte er dem Penny zu und kletterte nach draußen.
Wieder musste er vielen Füßen und umher eilenden Menschen ausweichen, bis er es endlich nach draußen geschafft hatte und zum ersten Mal in seinem Leben englische Luft einatmen durfte.
»Ist das herrlich hier. Ich bin gespannt, was ich hier alles sehen und erleben werde.«, freute sich Hannes, der nun nicht mehr daran dachte, gleich wieder nach Hause zu fliegen. Er wollte es dem Penny gleich tun und die Welt erleben.
»Oh!«, fiel es ihm wieder ein. »Der Penny!«
Hannes holte den Penny aus seiner Tasche und legte ihn vorsichtig auf dem Gehweg ab.
»Machs gut und viel Glück auf deiner weiteren Reise.«, verabschiedete sich der rote Bär und trat ein paar Schritte zurück.
Nur wenige Sekunden später blieb ein Kind stehen, das mit seinen Eltern unterwegs war. Vor Freude strahlend hob es den Penny auf, zeigte ihn seiner Mutter und steckte ihn ein. Schon startete der Penny zu einer neuen Reise, einem neuen Ziel entgegen. Irgendwo auf der großen, weiten Welt.

Wenn dir die Geschichten zum Lesen oder Vorlesen lang genug war, kannst du hier aufhören. Wenn du noch mehr über Hannes in London erfahren willst, dann lies einfach weiter.

Hannes jedoch ließ sich von einem Passanten in den nächsten Bus tragen. Wie man es in England sehr oft sehen konnte, war dieser zweistöckig. Man konnte unten, aber auch oben sitzen.
Hannes hatte das große Glück, dass der Mensch, dem er sich angeschlossen hatte, nach oben stieg. So konnte der rote Bär wunderbar nach draußen schauen.
Vom Flughafen aus ging zügig in die Stadt. Sie fuhren vorbei an der Tower Bridge, die die beiden Ufer des Flusses Themse verbannt und für Schiffe hochgeklappt werden konnte.
Vom Bus aus konnte man alte Kirchen anschauen, berühmte Gebäude und einen großen Palast, in dem die englische Königin wohnen sollte. Das weckte natürlich Hannes Neugierde.
Er hüpfte die Stufen der Treppe hinab, wartete darauf, dass der Bus an einer Ampel hielt und sprang auf den Gehweg.
»Eine Königin.«, war er begeistert. »Die hat bestimmt viel von der Welt gesehen und hat eine Menge zu erzählen.«
Vor dem Palast hielten Soldaten in seltsamen Uniformen Wache. Sie trugen schwarze Hosen, rote Jacken und riesige, wuschelige Helme auf dem Kopf.
»Das ist doch bestimmt ungemütlich.«, wunderte er sich. »So ein Ding auf dem Kopf ist bestimmt richtig schwer.«
»Das sind Bärenfellmützen.«, sagte eine kleine Maus, die gerade einem Krümel nachjagte und Hannes seltsam angrinste. »Sie werden aus echtem Bärenfell hergestellt.«
Jetzt bekam es der rote Bär mit der Angst zu tun. Er sah zwar nur schwarze Bärenfellmützen, aber wer weiß? Vielleicht gefielen den Engländern auch rote Mützen.
Sofort verließ er den Platz vor dem Palast und ließ sich in den nächsten Bus tragen, mit dem er zurück zum Flughafen fuhr.
»Das ist ein komisches Land.«, sagte er zu sich selbst.
Für einen kurzen Augenblick dachte Hannes darüber nach, wieder zurück nach Köln zu fliegen. Doch dann fiel ihm sein langweiliger Platz im Spielwarengeschäft wieder ein.
»Nee, in den Laden möchte ich nicht wieder zurück. Ich will lieber die Welt bereisen. Da gibt es noch so viel zu sehen und zu erleben.«
Und dann flog er doch zurück in seine Heimatstadt, um sich dort zu überlegen, wohin er als nächstes fliegen wollte.

(c) 2019, Marco Wittler

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