Attacke!
Die Stadt war groß, sehr groß, eigentlich schon viel zu groß, um sich als Fremde darin zurecht finden zu können. Es gab so unendlich viele Straßen, noch mehr Häuser an ihren Rändern und Menschen und Wesen, so weit das Auge reichte.
Roselotte Brombeergeist und das namenlose Geistermädchen waren sehr schnell überfordert. Zwar hatte man vor ihnen keine Angst, auch wunderte sich niemand vor ihren moosigen Schnurrbärten, aber Hilfe suchten sie vergeblich. Man lief schnellen Schrittes an ihnen vorbei. Jeder schien es unglaublich eilig zu haben. Mehr und mehr kroch etwas in die beiden Geister und machte sich langsam in ihnen breit. Es fühlte sich an wie eine große Leere, wie eine unüberwindbare Hoffnungslosigkeit. Sie waren kurz davor aufzugeben und in den großen, finsteren Wald heimzukehren.
Woran mochte das nur liegen? Waren es die unfreundlichen Wesen dieser Stadt? Waren es die vollen Straßen oder die hohen Gebäude, die auf ihre Bewohner herabblickten und sie zu erdrücken schienen?
»Ich kann nicht nicht mehr atmen.« Das namenlose Geistermädchen faste sich mit einer Hand an die Kehle, die andere legte sie sich auf die Brust. »Ich bekomme keine Luft mehr. Ich muss hier ganz dringend raus, sonst ersticke ich.«
Sie wollte sich umdrehen, davon schweben, flüchten, doch Lotti bekam sie im letzten zu packen und hielt sie fest. »Mir geht es ebenso. Ich habe Beklemmungen. Das muss diese Stadt sein. Irgendwas stimmt mit ihr und ihren Bewohnern nicht. Aber das muss nicht auch noch zu unserem Problem werden.«
Sie zog ihre Freundin zu sich, blickte ihr ganz tief in die Augen. »Vergiss nicht, wir sind Geister. Wir atmen nicht. Wir benötigen keine Luft zum Leben. Wir brauchen nur das Licht des Vollmonds.«
Sie hielten sich gegenseitig an den Händen, sahen sich an und beruhigten sich langsam wieder.
»Eine andere Sachen brauchen wir auch noch. Einen Hinweis, wohin unsere Reise gehen soll. Schau mal dort.«
Lotti zeigte auf eine Straße, die von ihrer abzweigte. Am Ende, man konnte sie kaum am Ende der Stadt erkennen, stand eine aus grauen Steinen gemauerte Burg.
»Und wo eine Burg steht, ist ein meist ein Ritter nicht weit. Die werden uns bestimmt sagen können, in welcher Richtung wir einen Drachen finden und damit auch den Weg in das Land, wo wir dein Licht entfachen können.«
Die Hoffnung keimte wieder auf. Die Geister bogen ab, liefen und schwebten zügig auf die Burg zu, die sie schon bald erreichten.
»Gehen wir einfach hinein?« Das Geistermädchen verschwand schon halb im Gemäuer, als ihr einfiel, dass Lotti ihr nicht folgen konnte und schwebte wieder heraus. »Wir finden bestimmt noch einen anderen Weg, der ins Innere führt.«
Sie begannen, die Burg zu umrunden, als Lärm an ihre Ohren drang. Jemand musste einen Berg Dosen umgeworfen haben.
»Nicht verzagen, mein stolzes Ross. Wir sind furchtlose Ritter. Wir geben niemals auf.«
»Hast du das gehört, Lotti? Da ist ein echter Ritter. Wir haben es geschafft.«
Sie bogen um die nächste Ecke und sahen ihn vor sich. Ein grauweißer Kater mit Helm auf dem Kopf und einer Suppenkelle in der Pfote, saß auf einem großen, schwarzen, kräftigen Kater. Gemeinsam kämpften sie sich durch einen Berg alter Dosen.
»Wir lassen uns nicht von so einem lächerlichen Hindernis aufhalten. Wir stürmen die Burg und erbeuten den Schatz.«
»Wir möchten dich ungern bei deinem Raubzug aufhalten.« Lotti winkte, der Kater unterbrach seine flammenden Reden, mit denen er sich selbst Mut machte. »Wir sind nur auf der Durchreise. Wir suchen nach einem Drachen, der uns zeigen kann, wie und wo man Licht und Feuer entfachen kann. Wir dachten uns, dass ein echter Ritter genau die richtige Person wäre, um uns weiterzuhelfen.«
Der grauweiße Kater richtete sich stolz auf seinem Reittier auf. »Ich bin Ritter Anton von Burg Suppenkelle, Eroberer von Katzenfutter und Befreier der Leckerlis, die im Küchenschrank gefangen gehalten werden. Ich kenne zwar keine Drachen, bin nie einem begegnet, aber ich kenne jemanden, der schon mal einen gesehen haben soll. Jedenfalls spricht er ständig davon, wenn wir abends am Lagerfeuer sitzen. Doch bevor ich euch davon erzählen kann, muss erledigen, was ein ein Ritter halt so machen muss: diese Burg erstürmen und das Futter an mich nehmen. Danach verteile ich es unter den Armen, schließlich bin ich ein herzensguter Kater.«
»Das bedeutet wohl, dass du alles raubst, was dir in die Pfoten kommt, klemmst es dir unter die Arme und bringst es in dein Versteck, um es ganz allein zu futtern.«
»Exakt!«
Die Geister hielten sich die Hände vor ihre Münder und mussten kichern. Ritter Anton gefiel ihnen. Er schien nicht nur mutig zu sein, er hatte auch viel Humor.
»Leider gibt es da nur ein Problem. Die Köchin wacht mit Argusaugen über ihre Vorräte und lässt mich nicht herein. Ich versuche es schon den ganzen Tag, hatte aber noch keinen Erfolg.«
»Nichts leichter als das. Wir übernehmen das.«
Lotti und das Geistermädchen stürmten durch die Tür, riefen ein lauten Buh. Die Köchin erschrak so sehr, dass sie ihre Beine in die Hände nahm und fluchtartig nach draußen stürmte. Unter lauten Schreien verschwand sie Richtung Stadt.
»Wenn ich gewusst hätte, dass das so einfach geht, hätte ich mir ein Bettlaken von der Wäscheleine geborgt und sie selbst vergrault.« Ritter Anton marschierte mit stolzer Brust in die Küche und begann, die Vorratskammer zu plündern.
»Wendet euch an Ritter Fridolin von Kieselstein. Er ist hier der Drachenexperte. Ihr findet ihn auf den Burggängen hinter den hohen Zinnen. Dort hält er Wache und passt auf uns auf.«
Die Geister bedankten sich, wünschten Anton ein genüssliches Festmahl und betraten das Innere der Burg.
(c) 2025, Marco Wittler
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