Den Weihnachtsmann gibt es gar nicht
Papa stand im Wohnzimmer, stemmte die Hände in die Seiten und betrachtete voller Stolz sein Werk. Er hatte gerade den großen Weihnachtsbaum aufgestellt. Er war so groß, dass seine Spitze sogar die Zimmerdecke berührte.
»Hab ich es euch nicht gesagt?«, wiederholte er sich immer wieder. »Alles Maßarbeit. Ich habe ein Auge dafür. Ich habe schon im Wald gesehen, dass das der perfekte Baum für uns ist.«
Inzwischen hatte sich auch Mama zu ihm gesellt. Sie hatte einen großen Pappkarton aus dem Keller geholt und begann nun, die einzelnen Äste des Weihnachtsbaums mit bunten Kugeln, Lametta, Strohsternen und einer leuchtenden Lichterkette zu schmücken.
Die Letzten, die nun das Wohnzimmer betraten, waren ihre beiden Kinder. Der große Luka hatte seinen kleinen Bruder Nick auf dem Arm.
Luka setzte sich auf das Sofa, platzierte Nick auf seinen Schoß und steckte ihm den Schnuller in den Mund.
»Schau dir das genau an.«, erklärte Luka. »Mama und Papa bereiten für uns Weihnachten vor. Wenn wir heute Abend ins Bett verschwinden, kommt irgendwann in der Nacht der Weihnachtsmann und legt unsere Geschenke unter den Tisch. Ich bekomme bestimmt ein Mofa, damit ich ab meinem nächsten Geburtstag allein zur Schule fahren kann. Du wirst bestimmt einen neuen Laufstall bekommen, damit du nicht mehr überall hin laufen kannst.«
Luka lachte. Diesen Witz hatte er in den letzten Tagen schon so oft erzählt, konnte sich aber immer noch darüber amüsieren.
»Weihnachtsmann?«, fragte Mama. »Glaubst du wieder an den Weihnachtsmann? Hast du mir vor ein paar Jahren nicht erzählt, dass es den nicht gibt?«
Luka hob seinen Zeigefinger an die Lippen. »Pssst!«, machte er.
»Nick hört doch, was du sagst. Willst du, dass er das mit dem Weihnachtsmann jetzt schon erfährt? Außerdem bringt das Christkind die Weihnachtsgeschenke. Das weiß doch jedes Kind.«
Wieder lachte er.
»Sei dir da mal nicht so sicher.«, meldete sich nun auch Papa.
»Vielleicht gibt es den Weihnachtsmann doch. Du hast ihn vielleicht noch nie gesehen. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht existiert.«
Luka grinste. »Ja, ist klar. Und den Osterhasen gibt es auch noch. Erzählt mir ruhig noch mehr Märchen.«
Mittlerweile war es Nacht geworden. Die ganze Familie lag in ihren Betten und schlief tief und fest. Alle? Nein. Denn Luka konnte nicht schlafen. Er war hellwach. Gab es den Weihnachtsmann nun doch? Er hatte irgendwann aufgehört, an ihn zu glauben. Alles nur dumme Märchen. Das hatten ihm schon seine Freunde in der Grundschule erzählt. Aber was, wenn es ihn nun doch gab?
Luka hörte ein Geräusch und schreckte hoch. War da was im Wohnzimmer? Nein, das konnte nicht sein. Vielleicht war Mama zur Toilette oder Papa hatte Durst und war in die Küche geschlichen.
Da! Noch ein Geräusch. Wieder aus dem Wohnzimmer.
Konnte es ein Einbrecher sein? Luka bekam Angst. Oder hatte es Mario geschafft, aus seinem Bettchen auszubrechen, sein Kinderzimmer zu verlassen und nahm nun den Weihnachtsbaum auseinander?
Irgendwann siegte die Neugier. Luka stand auf, zog sich seine Hausschuhe an und schlich sich in den Flur. Lautlos ging er zur Wohnzimmertür. Sie war verschlossen. Die Geräusche wurden immer häufiger.
Luka öffnete die Tür langsam und sah durch einen kleinen Spalt ins Wohnzimmer.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, entfuhr es ihm.
Er öffnete die Tür ganz und trat ein.
»Wer bist denn du?«
»Ich?«
Ein kleiner Kater in einem roten Mantel gekleidet drehte sich zu Luka um.
»Ich bin der Weihnachtskater. Der Weihnachtsmann kann nicht auf der ganzen Welt gleichzeitig Geschenke unter die Christbäume legen. Deswegen hat er überall seine Helfer. Einer davon bin ich.«
»Der Weihnachtskater.«, stotterte Luka. »Damit hätte ich jetzt nicht mal in meinen verrücktesten Träumen gerechnet.«
Der Weihnachtskater grinste und legte dabei noch ein paar Geschenke an ihre Plätze.
Bevor er wieder durch den Kamin verschwand, drehte er sich ein letztes Mal zu Luka um.
»Machs gut, Luka. Und erzähl bitte niemandem von mir. Das Geheimnis der Weihnachtshelfer sollte für immer ein Geheimnis bleiben.«
Luka nickte nur und sah zu, wieder der Kater verschwand. Dann ging er zurück in sein Zimmer und legte sich ins Bett. Jetzt konnte er endlich glücklich und zufrieden schlafen.
(c) 2016, Marco Wittler
Antworten