074. Männer unter sich

Männer unter sich

Maxi saß an ihrem Schreibtisch, arbeitete an ihren Hausaufgaben und sah ab und zu aus dem Fenster. Viel Lust hatte sie nicht, aber wenn sie nun nichts tun würde, bekäme sie am nächsten Morgen in der Schule eine Menge Ärger.
Draußen schien die Sonne so schön. Eigentlich hätte sie jetzt draußen sein wollen. Die bunte Schaukel stand ganz allein im Garten herum. Sie langweilte sich dort unten bestimmt auch.
Doch dann geschah etwas. Es war nichts außergewöhnliches oder erschreckendes. Es war nur Papa, der zur Gartenhütte ging und darin ein paar Sachen hin und her räumte.
Maxi sah ihm interessiert zu und wartete ab, was er dort unten hervor holen würde. Der Rasenmäher konnte es nicht sein, denn das Gras war noch sehr kurz.
Nach ein paar Minuten kam Papa nach draußen und zog einen kleinen Bollerwagen hinter sich her. Er stellte ihn mitten auf den Rasen und holte dann den Gartenschlauch. Er begann den Wagen von oben bis unten, von vorne bis hinten zu putzen.
Maxi wunderte sich. Sie konnte sich noch daran erinnern, mit Lisa, ihrer besten Freundin oft damit gespielt zu haben und sie hatten beide bei langen Ausflügen darin gesessen. Aber so sehr hatte Papa den kleinen Wagen nie gepflegt. Das tat er sonst nur an Wochenenden mit seinem Auto.
Maxi stand auf und ging eine Etage tiefer.
»Mama, was macht denn Papa da draußen mit dem Bollerwagen? Machen wir morgen einen Ausflug? Ich habe ja schulfrei.«
Mama grinste.
»Du wirst bestimmt nicht mehr mit Lisa zusammen in den Wagen passen. Selbst für dich allein ist er mittlerweile zu klein.«
Dann sah sie nach draußen in den Garten und verdrehte die Augen.
»Wir machen keinen Ausflug. Morgen ist Vatertag. Da schließen sich alle Väter zusammen und wandern ohne Frauen und Kinder durch die Gegend, trinken Bier und singen viel, auch wenn sie das nicht können. Und da unser Papa morgen nicht arbeiten muss, geht er in diesem Jahr auch mit.«
Maxi versuchte sich eine Truppe singender Männer vorzustellen. Doch sie lies es gleich wieder bleiben.
»Die machen ja komische Sachen. So etwas machst du am Muttertag aber nicht, oder?«
Mama lachte und schüttelte den Kopf.
»Dann ist es ja gut.«

Am nächsten Morgen war Papa schon ganz früh auf den Beinen. Er schmückte gerade den Bollerwagen, als Maxi die Treppe herunter kam. Er hängte ein paar Birkenzweige auf und kleidete das Innere des Wagens mit alten Stoffresten aus. Zum Schluss stellte er ein kleinen Fässchen Bier mit hinein und ein paar Trinkbecher.
Maxi verdrehte die Augen, wünschte einen guten Morgen und ging in die Küche. Dort wartete bereits Mama mit dem Frühstück.
»Guten Morgen, mein Engel. Wir zwei Frauen werden heute wohl alleine frühstücken müssen. Unser Papa wird schon von den anderen Vätern erwartet. Die haben nämlich alle schon richtig Durst. Dann machen wir uns heute wohl einen Mädchentag, was meinst du?«
Das war eigentlich eine gute Idee. Aber Maxi hatte noch etwas anderes im Kopf, denn langsam wuchs ihre Neugierde.
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass die den ganzen Tag durch die Gegend laufen, um Bier trinken zu können. Das ist albern. Unser Papa ist doch nicht so, oder?«
Mama zuckte nur mit den Schultern.
»Die Männer sind alle so.«
In diesem Moment wurde die Haustür geöffnet.
»Macht es gut ihr zwei. Ihr hoffe, ihr werdet mich nicht zu sehr vermissen. Die anderen sind gerade gekommen. Ich muss jetzt los. Tschüss.«
Papa ging nach draußen, zog die Tür hinter sich zu und war weg.
»Dann lass uns mal frühstücken.«, sagte Mama.

Nach dem Frühstück kümmerte sich Mama um den Abwasch. Sie räumte den Aufschnitt und die Marmelade in den Kühlschrank und das dreckige Geschirr in die Spülmaschine. Maxi zog sich ihre Schuhe und eine Jacke an und ging in den Garten.
Und schon konnte sie ein merkwürdiges Geräusch hören. Es klang, als würde eine stimmkranke Möwe im Sterben liegen. Doch dann sah Maxi um die Ecke und sah dort die Väter stehen. Sie waren wohl jetzt erst komplett und gingen gerade los.
Maxi war hin und her gerissen. Gerne wäre sie jetzt schaukeln gegangen, aber die Neugierde war größer. Also schlich sie sich vor das Haus und folgte den Vätern.
Diese zogen nun quer durch den ganzen Ort und zogen drei Wagen mit kleinen Bierfässern hinter sich her. Sie sangen aber nicht, sondern grölten lauthals. Hin und wieder begegneten sie anderen Vätergruppen, die sie dann fröhlich begrüßten und dann weiter gingen.
Ihre Wanderung dauerte nicht den ganzen Tag. Das Gegenteil war eher der Fall. Sie kamen am Clubhaus des Schützenvereins an. Dort waren offensichtlich schon andere Väter angekommen, denn vor der Tür parkten mindestens zwanzig Bollerwagen. Und in jedem von ihnen lagen ein oder zwei ungeöffnete Bierfässer.
»Irgendwas stimmt hier nicht.«, sagte sich Maxi leise.
Als ihr Papa und seine Freunde im Clubhaus verschwunden waren, ging sie hinterher und lief ein paar Mal um das Gebäude herum. Aber es war nichts Verdächtiges zu entdecken.
Doch dann fiel es ihr auf. Es wurde nicht mehr gesungen. Auch das Reden verstummte mit der Zeit, bis es schließlich ganz still wurde.
»Was machen die da drin bloß?«
Maxi suchte sich etwas, um in die Fenster schauen zu können und fand einen alten Getränkekasten. Sie stellte ihn vor eines der Fenster, stieg darauf und sah vorsichtig in das Clubhaus.
Und nun sah sie endlich, was die Männer wirklich taten.
»Das glaub ich nicht. Ich habe ja viel vermutet, aber das auf keinen Fall. Das wird mir doch niemand glauben.«
Maxi war so erstaunt, dass sie es fast selbst nicht geglaubt hätte. Aber sie sah es ja direkt vor sich.

Sehr spät am Abend kehrte Papa nach Hause zurück. Den Bollerwagen parkte er im Gartenhäuschen, bevor er ins Haus kam.
»Hallo Schatz.«, sagte er, als er etwas später von der Dusche ins Bett kam und sich zu Mama legte.
»Na, du Vatertagsausflügler. Wie war es denn, den ganzen Tag unterwegs zu sein, sich die Füße platt zu laufen und schräge Lieder zu singen, die jeden Vogel vor Neid erblassen lassen?«
Papa blieb stehen. Er schien sich zu wundern.
»Gut war es. Es hat uns allen viel Spaß gemacht. Aber warum fragst du? Du bist doch sonst nicht so neugierig.«
Mama grinste und holte ein paar Fotos hervor.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, was deine Tochter heute so alles angestellt hat. Sie hat ganz allein einen Spaziergang gemacht, ohne mich vorher zu fragen. Und nun rate doch mal, was sie entdeckt hat.«
Papa setzte sich langsam auf das Bett.
»Ich wusste, dass du es nicht erraten würdest. Deswegen werde ich es dir zeigen.«
Mama drückte ihm den Stapel Fotos in die Hand.
»Maxi hat mir gleich Bescheid gesagt. Und da ich ihr nicht glauben wollte, sind wir noch einmal zusammen zu euren Clubhaus, damit ich Beweisfotos schießen konnte. Die sind doch gut geworden, oder?«
Mama grinste nun über das ganze Gesicht, während Papa knallrot wurde.
Die Fotos zeigten eine Horde Männer, die den ganzen Tag über Eistee und Fruchtsaft tranken, während sie wie kleine Jungs an Rennbahnen saßen, Brettspiele machten oder sich Zeichentrickfilme ansahen.
»Also so hatte ich mir euren Vatertag bestimmt nicht vorgestellt. Aber immerhin weiß ich jetzt, dass ihr nichts Schlimmes macht und auch nicht zu viel trinkt.«
Mama gab Papa einen Kuss auf die Wange, zog sich dann die Decke bis zum Kopf und wünschte ihm eine gute Nacht.
»Ach ja, bevor ich es vergesse. Maxi und ich haben uns geschworen, es niemandem zu verraten. Es wird und ja eh niemand glauben.«

(c) 2008, Marco Wittler

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