1120. Finger weg von meinen Sachen (Mann und Manni 57)

Finger weg von meinen Sachen

Nachdem wir einen wirklich langen und schönen Urlaub verbracht hatten, war es zwar wundervoll, wieder auf dem eigenen Kratzbaum schlafen zu können, dennoch quälte uns ein großes Fernweh. Wir wollten noch immer die große, weite Welt zu Gesicht bekommen. Das war auch der Grund, warum wir zu sechst, also der Mann, die Frau und wir vier Katzen rund um den Esstisch saßen und in Reisekatalogen blätterten.
An dieser Stelle möchte ich mich kurz vorstellen, falls du mich noch nicht kennen solltest. Ich bin Manni, ein durchaus stattlicher, grauer Kater und sofort begeistert von Ägypten, wo Katzen früher wie Götter verehrt wurden. Es konnte kein besseres Ziel geben.
Mein Bruder Lord Schweinenase, an dessen Riechkolben immer ein paar Futterreste klebten wollte, wie hätte es auch anders sein können, ins Schlaraffenland reisen.
Unsere kleine, übereifrige Mini-Mietze, die es schon mit den stärksten Gegnern aufgenommen hatte, entschied sich für China, der Heimat der größten Kampfkünstler wie Jackie Chan und Bruce Lee. Sie wollte einmal in deren Fußstapfen wandeln dürfen.
Unser extrem ängstlicher Bengale wurde nicht gefragt. Wir wussten auch so, dass ungern hinaus in die Welt reiste und am sie am liebsten unter dem großen Bett im Schlafzimmer verkroch.
Der Mann und die Frau wollten mal etwas Anderes sehen und schlugen Island vor, die Insel, die mit ihren Gegensätzen und dem rauen Wetter sehr viel zu bieten hatte, womit wir auch schon beim größten Problem angekommen waren. Unsere Reiseziele langen in allen Himmelsrichtungen. Es würde schwer werden, sich auf irgendwas zu einigen. Am Ende würden wir, wenn es schlecht lief, unsere Zeit mit dem Bengalen zusammen unter dem Bett verbringen.
Ich strengte meine Gehirnzellen an und suchte nach einer Lösung, die für jeden akzeptabel war und schlug den Zoo in Köln vor. Das war nicht weit weg, bot aber Tiere aus aller Welt und von allen Kontinenten. Einfacher konnte es nicht gehen und ich fand sofort allgemeine Zustimmung.
Direkt am nächsten Morgen ging es los. Unsere menschlichen Mitbewohner hatten einen Berg Bütterchen geschmiert, genug Getränke eingepackt und auch an meine überlebenswichtigen Leckerlis gedacht, ohne die ich nicht leben konnte. So ausgerüstet nahmen wir die vergleichsweise kurze Fahrt vom heimischen Sauerland an den Rhein auf uns. Vor Ort setzte man uns in einen geräumigen Bollerwagen, den der Mann großzügigerweise immer hinter sich her zog.
Das erste große Gehege, in das wir einen Blick werfen konnten, fand sofort riesige Begeisterung beim Bengalen, denn dort lagen auf einem grünen Hügel zwei Katzen, die einiges größer waren als wir alle zusammen, ihm aber sehr ähnlich sahen. Sie waren am ganzen Körper getupft und nannten sich Geparden und waren die schnellsten Jäger an Land.
Unser ängstlicher Mitbewohner vergaß für ein paar Minuten seine Furcht vor der Welt und konnte sich nicht vorstellen, dass diese Beiden vor uns vor nichts und niemandem Angst hatten. Das flößte ihm offenbar so viel Respekt ein, dass er an diesem Gedanken zu wachsen schien. Schon allein dafür hatte sich die Fahrt hierher gelohnt. Es war schön anzusehen, wie ein Freund einen Teil siner Furcht verlor.
Etwas später standen wir im Südamerika-Haus. Hier gab es noch viel exotischere Tiere und Pflanzen zu bestaunen. Ich war so fasziniert, dass ich alles um mich herum vergaß und auf nichts mehr achtete, bis jemand kurz an meinem Rucksack zog.
»Finger weg von meinen Sachen!«, entfuhr es mir. Niemand durfte sich ungefragt über meine Leckerlis her machen. Also wirbelte ich herum und sah, irritierenderweise passend zu meinem Ausspruch ein Zweifingerfaultier vor mir an einem Ast hängen.
»Freund?«, fragte es mich in Zeitlupe.
Du meine Güte. Aus der Nähe sahen diese Tiere noch viel süßer aus, als im Fernsehen. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Freund!«, antwortete ich, ohne auch nur den Hauch einer Chance auf Widerspruch zu haben.
Das Faultier winkte mich langsam zu sich herauf. Dieser Einladung musste ich einfach folgen. Sekunden später lag ich gemütlich, alle Viere von mir gestreckt auf einem dicken Ast, das Faultier hing unter mir. Gemeinsam verputzten wir meine Leckerlis, die ich nur zu gern mit ihm teilte.

(c) 2021, Marco Wittler

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