1301. Die Schwesternschaft der Hexen

Die Schwesternschaft der Hexen

Dunkelheit senkte sich über den Berg. Ein letzter oranger Streifen Licht war gerade noch am Horizont zu erkennen. Doch dieser sollte auch schon bald dem Sternenmeer am Firmament weichen.
Zu dieser Stunde fand auf dem Gipfel ein Treffen statt, das vor den Menschen in der Umgebung streng geheim gehalten wurden. Denn in der Walpurgisnacht trafen sich auf dem Blocksberg die Hexen aus nah und fern. Einmal im Jahr tauschten sie dort über mehrere Stunden ihre neuesten Hexenrezepte und Zauberformeln aus.
Nach und nach trafen sie ein. Auf Besen und modernen Staubsaugern flogen sie mal mehr, mal weniger lautlos durch die Nacht. Während die Älteren von ihnen sehr elegante Landungen machten, krachten die Jüngeren auf den Boden.
Keine einzige Hexe kam allein zum Blocksberg. Jede von ihnen brachte ihren tierischen Begleiter mit. Mal handelte es sich dabei um eine stattliche Eule, dann wieder um schwarze Katzen oder auch Kröten, die mit dicken Warzen übersät waren.
»Sind wir vollständig?«, fragte die Oberin der Schwesternschaft der Hexe, blickte durch die Runde und zählte nach. »Wieder mal fehlt eine von uns. Ich kann mir denken, wer das ist. Wo bleibt Sieglinde?«
Durch die Wolken hörte man ein Kreischen. Eine Hexe auf einem uralten Besen kam in Sicht. Ihr folgte ein großer Adler, der bereits seine scharfen Krallen nach ihr ausstreckte. »Er will mich fressen!«, schrie Sieglinde und versuchte verzweifelt ihrem Verfolger immer wieder auszuweichen.«
Die Oberin seufzte, schüttelte den kopf und zog ihren Zauberstab. Aus der Spitze fuhr ein Blitz hervor, der den Adler traf und ihn vertrieb. »Wer hat diesem jungen Ding eigentlich das Hexenpatent überreicht? Sie kann sich nicht einmal gegen einen Vogel zur Wehr setzen.«
Sieglinde raste auf das Gipfelplateau zu, krachte auf den Boden und rutschte noch mehrere Meter weiter. Dabei schürfte sie sich die Hände und Knie auf.
»Wir sind vollständig.«, stellte die Oberin fest. Sie trat an einen großen, steinernen Tisch. »Nun legt hier eure Zauberstäbe ab, wie es seit Anbeginn Tradition bei uns ist.«
Sieglinde griff schnell in ihre Manteltaschen und erschrak. Ihr Zauberstab war nicht da. Sie wurde rot im Gesicht und blickte sich suchend m dunklem Himmel um. »Mein Stab ist nicht da. Ich fürchte, dass mein magisches Wesen ihn für mich mitbringt. Ich kann es nirgendwo entdecken.«
Leises Gemurmel machte sich auf dem Berg breit. Das hatte es noch nie gegeben. Ohne den letzten Zauberstab konnte das Treffen nicht beginnen.
Ein weiterer Schrei durch die Nacht. Ein kleines, schwarzes Wesen stürzte herab. »Da bist du ja endlich!«, rief Sieglinde und streckte die Hand aus. »Hierher, Floppelmoppel.« Sie begann zu lachen. »Wir müssen unbedingt mal an deinem Orientierungssinn arbeiten. Bei jedem Ausflug verfliegst du dich und kommst zu spät.«
Floppelmoppel kam in einem taumelnden Flug heran und landete auf dem Arm der Hexe. »Braves Floppelmoppel.« Sie streichelte die kleine Fledermaus und nahm ihr den Zauberstab ab. Diesen legte sie auf den letzten freien Platz auf dem Tisch.
»Lasst uns beginnen.«, sagte die Oberin der Hexenschwesternschaft. Sie murmelte eine Beschwörungsformel. Die Stäbe begannen zu leuchten. In ein paar Metern entfernt entstand ein weiterer Tisch mit den leckersten Speisen, die man sich nur vorstellen konnte. Jetzt konnte endlich gefeiert werden.

(c) 2022, Marco Wittler

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