1638. Halloween in der Drachenschule

TRIGGER WARNUNG / CONTENT NOTE:
Bitte lies meine Geschichten einmal selbst, bevor du sie deinen Kindern vorliest. Sie sind zu Halloween etwas gruseliger, auch wenn sie lustig enden. Bitte bewerte vorher, ob dein Kind die Geschichten bereits versteht, damit umgehen kann und sich nicht zu sehr gruselt.

Halloween in der Drachenschule

Über dem großen, finsteren Wald war die Nacht hereingebrochen. Von einer Seite des Horizonts zur anderen funkelten mehr Sterne, als man bis zum Morgengrauen hätte zählen können.
Pünktlich zur Mitternacht, zu Beginn der Geisterstunde, kletterte der Vollmond am Firmament hinauf und warf einen ersten Lichtstrahl über die Baumwipfel hinweg auf eine scheinbar einsame Lichtung. Es streifte die geschlossenen Blüten kleiner, weißer Blumen, die sich daraufhin öffneten.
Lautes Gähnen erfüllte diesen von Menschen unberührten Ort. Kleine Geister, die aus ihrem Inneren heraus leicht glommen, erwachten und schwebten in die Höhe. Für sie begann nun ihr Tag.
In einer einzigen Blüte wurde noch geschlafen, denn statt eines Gähnens, war ein deutliches Schnarchen zu hören.
»Roselotte Brombeergeist, wach endlich auf.«, rief der oberste Geist und klopfte ungeduldig gegen die Blume. »Du wirst noch die ganze Nacht verschlafen und und erst bei Sonnenaufgang erwachen.«
Roselotte Brombeergeist öffnete die Augen zu schmalen Schlitzen. »Ich habe es schon so oft gesagt. Ihr sollt mich Lotti nennen. Das ist der Name, den ich für mich gewählt habe. Alles andere klingt richtig altmodisch.«
Der andere räusperte sich und nahm etwas Abstand. »Wie auch immer. Es ist Zeit, aufzustehen.«
Lotti seufzte und nickte. Sie kletterte umständlich über die Blütenblätter hinweg, rutschte am Stiel herab und landete krachend mit ihren dicken Stiefeln auf dem Boden. Gerade wollte sie losmarschieren, als es um sie herum zu glitzern begann.
»Hey, was ist denn das? Was passiert denn hier?«
Das Glitzern wurde mehr. Als war, als würden unzählige Glühwürmchen um sie herum im Kreis fliegen. Das Glitzern wurde zu einem hellen Glühen und hüllte das kleine Geistermädchen vollständig ein, dass es nicht mehr nach außen und die anderen Geister nicht mehr hinein blicken konnten.
»Hilfe!«, war das letzte Wort, das Lotti schreien konnte. Einen Augenblick später verwanden die Lichter wieder und mit ihnen das Geistermädchen. Zurück blieben verängstigte Geister, die sich nicht erklären konnten, was gerade geschehen war.

Im fernen Drachenland, dass sich hinter den sieben Vulkanfeldern befand, machte sich das Drachenmädchen Blubb auf den Weg in den Klassenraum ihrer Drachenschule. Pünktlich zum Halloweenfest hatte Professor Dimitri Draconis hatte eine ganz besondere Unterrichtsstunde angekündigt. Sie war unglaublich gespannt, denn dies war das erste Halloweenfest ihres Lebens.
Pünktlich mit dem Ertönen der Schulglocke, betrat der Professor den Raum, legte seine Tasche auf das Pult und warf einen schnellen Blick durch die Reihen. Offensichtlich waren alle Schüler auf ihren Plätzen.
»Gut, gut. Wunderbar. Dann können wir gleich beginnen.« Draconis trat an die Tafel, griff zur Kreide und spitzte sie an einem seiner scharfen Eckzähne an. Mit einem lauten Quietschen, dass durch Mark und Bein ging, schrieb er ein Wort in großen Buchstaben. HALLOWEEN.
»Das Halloweenfest ist uralt. Woher es stammt und wann es das erste Mal begangen wurde, lässt sich heute nicht mehr sagen. Dafür wissen wir aber umso besser, was in diesen besonderen Stunden alles geschehen kann. Unsere Welt kommt für eine kurze Zeit der dem Jenseits sehr nahe. Die Wesen der Finsternis und der Unterwelt haben die Möglichkeit, die sonst so feste Grenze zu überschreiten und zu uns Kontakt aufzunehmen.«
Nun wandte sich der Professor dem Fußboden zu und begann ein Pentagramm auf ihm zu zeichnen, ein fünfzackigen Stern in einem Kreis. Nach und nach stellte er Kerzen auf dessen Spitzen. Bevor er sie mit seinem Drachenfeuer entzündete, blickte er das kleine Drachenmädchen an. »Blubb, komm bitte zu mir. Wir haben seit Schuljahresbeginn neue Sicherheitsvorschriften. Wir dürfen in geschlossenen Räumen kein Feuer machen, wenn nicht für ausreichend Sicherheit gesorgt ist.«
Blubb nickte und wusste schon, worum es dem Professor ging. Die Seifenblasen, die statt eines stattlichen Feuers aus ihrem Mund kamen, konnten jede Flamme einfangen und sicher in sich einschließen. Also stellte sie sich neben den Pentagramm auf und sah pflichtbewusst zu, wie die Dochte der Kerzen nach und nach entzündet wurden.
Professor Draconis griff zu einem alten Buch, schlug es in der Mitte auf und sprach eine Beschwörungsformel. In der Mitte des Pentagramms entstand ein Glitzern, das schnell zu einem Glühen und Leuchten anwuchs, das man mit Blicken nicht durchdringen konnte. Als es wieder verblasste, stand an seiner Stelle ein … Ja, was war es denn?
Der Professor glaubte seinen Augen nicht und rieb sie sich. Er hatte eigentlich einen Geist beschwören wollen. Danach sah es schon irgendwie aus. Es war ein nicht greifbarer Körper, der von einem wallenden, weißen Laken bedeckt war. In Höhe der Augen waren zwei Löcher geschnitten, hinter denen sich eine schwarze Leere befand. Doch da war etwas, das so gar nicht passen wollte. Der Geist schwebte nicht. Er stand auf zwei Füßen, die sich in schweren Stiefeln befanden. Auf dem Kopf befand sich eine rosa Schleife.
»Es tut mir leid. Ich wollte einen echten Geist beschwören, um mit ihm Halloween zu feiern. Aber … ich weiß nicht genau, was du bist. Du bist ein Geist, aber auch wieder nicht.«
»Ich bin Roselotte Brombeergeist.« Das Geistermädchen verdrehte die Augen. Nun hatte sie sich selbst beim vollständigen Namen genannt. »Alle, die mich kennen und mögen, nennen mich Lotti.« Sie zeigte auf ihre Stiefel. »Ich bin zu früh geboren worden. Deswegen kann ich weder schweben, noch durch Wände gehen. Also laufe ich durchs Leben. Trotzdem bin ich ein echter Geist.«
»Es erfreut mich außerordentlich, deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Draconis, Professor der Drachenschule.« Er überlegte. Jetzt muss ich meine Pläne umwerfen. Ich hätte es durchaus spannend gefunden, wenn Geister durch die Flure geschwebt wären. Aber vielleicht fällt uns gemeinsam etwas anderes ein. Jemand eine Idee?«
Das Drachenmädchen Blubb hob sofort die Hand. »Ich könnte Seifenblasen spucken. Die schweben wirklich wunderbar in der Luft.«
Lotti bekam große Augen. »Du kannst Seifenblasen spucken? Ist das krass. Ich dachte immer, dass Drachen Feuer spucken.«
Blubb bekam rote Wangen und senkte den Kopf. »Ich bin als Kind in einen Waschzuber gefallen. Seitdem ist mein Feuer gelöscht. Aber dafür kann ich ganz viel mit meinen Seifenblasen anstellen.«
»Ich glaube, ich habe da eine Idee.« Lotti grinste. »Ich werde meine Freunde fragen, ob sie uns helfen.«
Das Geistermädchen streckte seine flache Hand aus, führte sie sich zum Körper und drang damit in ihn ein. Das schwache Glimmen in ihrem Inneren zog sich zusammen, konzentrierte sich auf einen Punkt und setze sich auf die Hand. Lotti holte das Licht hervor. Es entpuppte sich als eine Gruppe Glühwürmchen.
»Hallo, ihr Lieben. Mögt ihr uns bei der gruseligen Dekoration für Halloween helfen? Wir könnten nämlich noch etwas Licht gebrauchen.« Die Glühwürmchen nickten begeistert.
Nun verstand Blubb, worum es ging. Vorsichtig nahm sie einen der kleinen Leuchtkäfer, setzte ihn sich auf die Hand und formte eine Seifenblase um ihn herum. Diese ließ sie davon schweben. Kaum hatte sie die Decke erreicht, begann es in ihr zu leuchten. Es sah aus, als würde nun ein Geist sein Unwesen treiben.
»Wow!«, staunten die anderen Drachen. Diese Idee war einfach genial.
»Das habt ihr wirklich gut gelöst, Blubb und Lotti. Ihr scheint ein perfektes Team abzugeben.« Professor Draconis legte den beiden anerkennend die krallenscharfen Pranken auf die Schultern und nickte zufrieden.
»Mit euch kann das Halloweenfest nur fantastisch gruselig werden. Ich habe genau den richtigen Geist beschworen.«
Lotti und Blubb hoben, ohne sich vorher abgesprochen zu haben, die rechten Hände und klatschten sich ab.

(c) 2024, Marco Wittler

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