Das kleine Eichhörnchen und seine Welt
Krach! Bumm! Peng!
Das kleine Eichhörnchen wurde in den frühen Morgenstunden durch heftigen Lärm aus dem Schlaf gerissen. Müde rieb es sich die Augen und blickte auf den Kalender. Es war gerade einmal Dienstag. Eigentlich hatte es nicht vorgehabt, seine Winterruhe vor Freitag zu unterbrechen, um ein paar seiner Nahrungsvorräte aus einem der vielen Verstecke zu holen. Doch nun war es wach.
»Was geht denn da vor sich?«
Es trippelte langsam zum Ausgang seines Kobels, einem Nest, das es hoch oben in einer alten Eiche am Rande des Stadtparks gebaut hatte und blickte hinaus. Offenbar hatte es in der Nacht gefroren und mehrere Autos waren auf der glatten Straße ineinander gekracht. Gerade stiegen die Fahrer aus, besahen sich die Schäden und gaben sich gegenseitig die Schuld. In ihrer Wut begannen sie zu schreien, zu brüllen. Dass sie nicht gleich aufeinander losgingen und sich die Haare ausrissen, war tatsächlich ein Wunder. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit konnten sie sich einigen und ihre Fahrten fortsetzen.
»Endlich wieder Ruhe. Ich brauche dringend meinen Schlaf.«
Das Eichhörnchen wollte sich gerade wieder unter seiner dicken Decke einrollen, da knallte es erneut und grelle Lichter, die sogar die durch die Äste und Blätter des Kobel drangen, erhellten den dunklen Himmel.
»Hilfe! Was passiert denn da?«
Hatte es nicht schon zum Jahreswechsel gereicht, feuerte nun schon wieder jemand seine übrig gebliebenen Silvesterraketen ab.
Erneut gab es Streit. Der eine zündete laute Knaller, der andere versuchte es zu verhindern. Auf der anderen Seite des Baums gerieten ein paar Kinder aneinander, die eigentlich auf dem Weg in die Schule sein sollten.
In der Ferne erklang eine laute Sirene, die mit jedem panischen Herzschlag lauter wurde. Die Polizei war auf dem Weg, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
»Ach, wie sehr tut das meiner Seele weh. Die Menschen geraten aneinander, machen Lärm und bringen alles durcheinander. Die arme Welt kann nur tatenlos zuschauen und es ertragen. Wie gern würde ich sie einmal in den Arm nehmen und trösten.«
Das Eichhörnchen wusste natürlich, dass die Erde viel zu groß war, um sie mit Armen zu umschließen. Deswegen griff es nach dem ersten Gegenstand, den es finden konnte. Es griff an einer großen Walnuss und drückte sie verzweifelt an sich.
Es krachte erneut. Der ganz Baum erzitterte. Auf der glatten Fahrbahn war wieder ein Auto ins Schleudern geraten und gegen ihn gefahren. Vor Schreck hatte das Eichhörnchen die Nuss in einen Farbeimer fallen lassen, den es am Abend vorher zum renovieren benutzt hatte.
»Oh nein. Wie konnte das nur passieren?«
Vorsichtig holte es die Nuss wieder heraus. Sie war rundherum von Farbe bedeckt und glich nun wirklich der Erde, wie es sie sich vorstellte.
»Komm her. Ich nehm dich in den Arm und lasse dich nie wieder los.«
Dem Eichhörnchen war, als würde die Erde plötzlich erleichtert aufatmen. Mit einem Mal wurde es still. Die Sirenen verstummten, die Streitigkeiten wurden beendet. Raketen und Böller verschwanden. Es wurde draußen vor dem Baum so leise, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
»Kann das sein? Habe ich wirklich etwas bewirkt? Habe ich die Welt beruhigt?«
Das Eichhörnchen sah vorsichtig nach draußen. Zum ersten Mal in diesem Winter hatte es zu schneien begonnen. Die Menschen hielten inne, schauten zum Himmel hinauf und beobachteten den wilden Tanz der Schneeflocken. Langsam wurde der Boden weiß. Mit der weißen Pracht wurden nun auch noch die letzten Geräusche aus der Umgebung verschluckt.
»Endlich kann ich wieder schlafen.« Das Eichhörnchen legte seine kleine Welt vorsichtig auf eine Seite des Kopfkissens und sich selbst auf die andere. Schon bald war es eingeschlafen und träumte von einer Welt, in der sich alle Menschen und Tiere mit größter Hochachtung und Respekt begegneten und niemals Streit aufkam.
(c) 2025, Marco Wittler
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