1703. Die verschwundenen Socken

Die verschwundenen Socken

Paula ging zum Schrank, hockte sich davor auf den Boden und zog die Schublade auf. Sie griff hinein und förderte ein Sockenpaar nach dem anderen zu Tage. »Irgendwo hier müssen sie doch sein?« Sie wühlte weiter, bis sie auf dem Boden angekommen war. »Das kann nicht sein. Sie lagen ein ganzes Jahr hier drin. Aber nun sind sie verschwunden.«
Sie stand wieder auf und lief zum Wohnzimmer. Wenn irgendwer wissen konnte, wo ihre Socken abgeblieben waren, dann war das Papa, der sie immer aus der Waschmaschine holte, sortierte, einrollte und an ihrem Platz verstaute.
»Papa? Du hast nicht zufällig meine Halloweensocken gesehen? Du weißt schon, die mit den kleinen Geistern drauf. Die muss ich unbedingt heute anziehen. Das mache ich doch jedes Jahr an Halloween.«
Papa blickte von seinem Buch auf, welches er gerade las. »Die sind seit letztem Jahr in deiner Sockenschublade. Ich weiß ganz genau, dass ich sie dort hineingelegt habe. Ich bin mir sogar recht sicher, dass ich sie vor ein paar Tagen noch gesehen habe.«
Er ging mit Paula ins Kinderzimmer und sah selbst nach. Nichts. Keine Halloweensocken. »Das ist seltsam. Hier ist sonst niemand, dessen Füße in die Socken passen würden.«
Paula seufzte leise und ließ die Schultern hängen. Doch dann riss sie die Augen auf, grinste und holte eine große Lupe , die in der Stiftebox auf dem Schreibtisch steckte.
»Dann wird sich jetzt Detektivin Paula darum kümmern. Ich werde nicht eher aufgeben, bis die Socken wieder aufgetaucht sind.«
Papa musste lächeln. »Dann schau auch gleich, ob du noch mehr Socken bei deiner Suche findest, ich hole in letzter Zeit oft genug welche aus der Waschmaschine, die nur noch einzeln vorhanden sind.«
Paula nickte. Die Waschmaschine war ein sehr guter Hinweis. Dort sollte sie mich ihrer Spurensuche beginnen.
Im Bad setzte sie sich auf den Boden und untersuchte mit ihrer Lupe jede Fliese einzeln.
»Ist es das, wofür ich es halte?« Sie hob einen Fussel auf, besah ihn sich von allen Seiten und hielt ihn sich unter die Nase. Angewidert ließ sie ihn wieder fallen. »Der riecht wie Papas Käsefüße. Der stammt eindeutig von einer Socke. Ich bin auf dem richtigen Weg.«
Nun legte sie sich hin, um den Spuren noch näher auf den Grund zu gehen. Dabei fiel ihr etwas erstaunliches auf. »Schaut wie Fußspuren aus, aber auch wieder nicht. Sie sind viel zu klein und zusätzlich verwischt.«
Es war nicht gerade einfach den Spuren zu folgen. Auf dem hellen Boden waren sie kaum erkennbar. Sie verliefen von der Waschmaschine quer durchs Bad, bis sie an einer Wand endeten. Dort bogen sie weder nach links, noch nach rechts ober oben ab. Sie endeten einfach genau hier.
»Hä? Das kann doch gar nicht sein. Die müssen doch irgendwo weiter gehen.«
Paula lief es plötzlich eiskalt den Rücken herab. Was, wenn die Spuren nicht von irgendwelchen Lebewesen, sondern von Geistern stammten, die Wände mühelos durchdringen konnten?
Nein, so ein Blödsinn. Es gab keine Geister – obwohl – zu Halloween konnte alles möglich sein.
Sie stand auf, lief in den nächsten Raum. In der Vorratskammer fand sie die Spur wieder. Sie führte von der einen Wand zur anderen Seite, wo sie erneut verschwand. »Hä? Was? Schon wieder? Da will mich doch jemand auf den Arm nehmen und veräppeln. Vielleicht hat sich Papa einen Streich für mich überlegt.«
Es ging weiter. Im Treppenhaus waren die Abdrücke wieder zu sehen. Hier waren sie deutlicher, denn auf den Stufen hatte schon länger niemand Staub gewischt. Stufe für Stufe folgte Paula der Spur, kroch auf allen Vieren den schmalen Gang entlang, durch Papas Werkstatt, bis sie an einem kleinen Loch in der Wand angekommen war und es für sie nicht mehr weiterging.
Paula versuchte zu erkennen, was sie in dem Loch verbarg, dafür war es darin aber viel zu dunkel. »Ich brauche unbedingt eine Taschenlampe.« Die hing glücklicherweise an einem Haken an der Wand. »Hoffentlich sind die Batterien nicht leer.« Das Licht flammte auf. »Perfekt.«
Paula legte sich nun ganz flach auf den Boden und leuchtete in das kleine Loch. Sofort riss sie überrascht die Augen auf. »Das gibt’s doch gar nicht. Sowas hab ich ja noch nie gesehen.«
In einem winzig kleinen Raum in der Wand waren die verschwundenen Socken wie Hängematten aufgespannt, darunter auch die mit den kleinen Geistermotiven. In den Socken lagen kleine Mäusegeister, die nur aus einem dünnen, weißen Laken mit Gucklöchern bestanden und einen langen, dünnen Schwanz besaßen.
»Ist das süß. Nirgendwo könnten unsere Socken besser gebraucht werden als hier. Ich lasse die Geister lieber in Ruhe schlafen.«
»Dann kannst du auch gleich das Licht deiner Lampe wieder ausknipsen.«, beschwerte sich nun einer der Geister. »Das stört nämlich ganz gewaltig beim schlafen.«
Stinksauer, dass er von Paula geweckt und aus seinen Träumen gerissen worden war, drehte er sich mit einem kräftigen Ruck in seiner Hängematte um und begann so laut zu schnarchen, dass er sogar Papa hätte Konkurrenz machen können.

(c) 2025, Marco Wittler

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