344. Wo geht’s hier zum Mond? oder „Papa, wie hoch fliegen Fliegen?“ (Papa erklärt die Welt 34)

Wo geht’s hier zum Mond?
Oder ›Papa, wie hoch fliegen Fliegen?‹

Sofie saß auf dem Bett und sah ganz gebannt einer kleinen Fliege zu, die immer wieder gegen die Fensterscheibe flog.
»Nein, so wird das nichts, kleine Fliege. Man kann doch nicht durch das geschlossene Fenster fliegen.«, erklärte sie dem kleinen Insekt, das allerdings nicht zuhören wollte.
In diesem Moment kam Papa in das Kinderzimmer. Unter seinem Arm klemmte ein dickes Buch mit wunderschönen Märchen. Eines davon wollte er seiner Tochter vor dem Schlafen vorlesen.
»Was machst du denn da?«, fragte er neugierig.
»Da schau.«, sagte Sofie und zeigte mit dem Fenster zur Fliege.
»Sie versucht immer wieder durch die Scheibe zu fliegen.«
Papa seufzte, öffnete das Fenster und entließ die Fliege in die Freiheit.
»Wo fliegt sie jetzt hin?«, wollte Sofie wissen.
»Wahrscheinlich Richtung Mond, wie alle Fliegen, wenn es dunkel wird.«, antwortete Papa.
In diesem Moment fiel ihm die Neugier seiner kleinen Tochter ein. Er seufzte ein weiteres Mal und legte das dicke Buch in das Bücherregal, denn er wusste, was jetzt kam.
»Sie kann bis zum Mond fliegen?«, fragte sie neugierig.
Papa schüttelte den Kopf und verneinte.
»So weit kommen sie nicht.«
Sofie stutzte und begann zu grübeln. Man konnte es ihr ansehen, dass eine Frage in ihrem Kopf enstand.
»Papa, wie hoch fliegen eigentlich Fliegen? «
Papa kratzte sich am Kinn. Er dachte noch nach.
»Das ist eine sehr gute Frage. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig von ein paar abenteuerlustigen Fliegen. Und die werde ich dir jetzt erzählen.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«

Es war einmal eine kleine Fliege, die den lieben langen Tag nichts anderen im Kopf hatte, als über die bunte Blumenwiese zu fliegen, von Blume zu Blume zu hopsen und hin und wieder ihre älteren Artgenossen zu ärgern.
Doch eines Tages, als wieder einmal die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand und es dunkel wurde, tauchte am Himmel ein neues Licht auf,
»Was ist denn das für ein großes Licht dort oben zwischen den vielen anderen?«, fragte die kleine Fliege neugierig ihre Mutter.
»Das ist der Mond.«, erklärte sie.
»Er taucht immer wieder mal auf und zieht seine Bahn über den Himmel. Mehr wissen wir Fliegen aber auch nicht über ihn. Er ist nie zu uns herunter gekommen und von uns wollte auch nie jemand hinauf fliegen.«
»Das ist ja unglaublich aufregend.«, sprach die kleine Fliege.
Es war ihr richtig anzumerken, wie sie sich im ihrem Köpfchen große Abenteuer ausmalte.
»Dann muss es halt mal jemand versuchen,«
Und schon flitzte sie in ihr Zimmer, sammelte ein paar Kleinigkeiten zusammen und stand ein paar Minuten später auf der Türschwelle, dazu bereit, den Mond zu besuchen,
»Ich kenne jedes fliegende Tier der Blumenwiese. Und weil der Mond dazu gehört, werde ich ihm einen Besuch abstatten.«
Ihr Entschluss stand fest. Sie winkte der Mutter noch ein Lebewohl zum Abschied und flog davon.
Mittlerweile war es richtig finster geworden. Die Blumenwiese sah nun nicht mehr so schön bunt aus, wie noch am Nachmittag. Alle Blüten waren fest verschlossen. Ihre schönen Farben würden sie erst am nächsten Morgen wieder zeigen. Doch darauf achtete die kleine Fliege nicht weiter. Sie düste über alles hinweg und machte erst am Rand der Wiese eine kleine Rast, wo sie sich umsah und ein Wiesel entdeckte.
»Hallo, Wiesel. Wo geht’s hier zum Mond?«, fragte sie freundlich.
Das Wiesel sah zum Himmel hinauf und grinste.
»Nach da oben, wohin sonst. Einen anderen Weg kenne ich nicht. Hab es selbst noch nie probiert.«
Also zog die kleine Fliege weiter ihres Weges. Unterwegs fragte sie sich bei allen Tieren durch, die sie traf. Darunter waren ein Uhu, eine Mücke, eine Maus und ein grimmiger Hund, der gerade einschlafen wollte.
Schließlich traf sie eine Motte, die ebenfalls auf dem Weg zum Mond war.
»Ja, ich kenne den Weg.«, sagte diese stolz.
»Schließ dich mir an, dann fliegen wir ihn zusammen besuchen.«
Also nahmen sie sich gegenseitig an der Hand und flogen hinauf zum Himmel, immer dem hellen Licht über ihnen entgegen. Doch sehr kamen sie nicht, denn je näher sie dem Mond kamen, desto heller, greller und wärmer wurde sein Licht.
Plötzlich knallten sie mit den Köpfen gegen eine harte Wand. Die Wucht ließ sie für einen Moment taumeln, bis sie begriffen, dass sie nun direkt vor dem Mond herum schwirrten.
»Seltsam.«, sagte die kleine Fliege.
»Den Mond habe ich mir aber viel größer vorgestellt. Immerhin kann man ihn von überall aus sehen.«
Dieser Meinung war die Motte auch. Aber sie hatten doch alles richtig gemacht. Sie waren dem hellen Licht bis ans Ziel gefolgt. Also musste es wohl der Mond sein.
Die kleine Fliege bedankte sich für den schönen, aber doch recht kurzen Flug und machte sich auf den Heimweg.
Von nun an erzählte sie überall herum, dass sie die erste und einzige Fliege der ganzen Welt sei, die bereits von der Erde bis zum Mond geflogen war. Das machte sie bei allen Fliegen unglaublich berühmt.
Sie sollte aber nie erfahren, dass es eigentlich nicht der Mond war, gegen den sie mitten im Flug gestoßen war, sondern nur eine einfache Straßenlaterne, deren Licht sie von ihrem wahren Ziel abgelenkt hatte.

»Und warum fliegen die Fliegen heute immer noch zum Mond?«, fragte Sofie.
Papa überlegte kurz, bevor er antwortete.
»Weil die anderen Fliegen diesen weiten und schweren Flug ebenfalls schaffen wollen.«
Sofie musste lachen.
»Papa, das ist eine tolle Geschichte. Aber ich glaube dir davon kein einziges Wort.«
Papa grinste und zog seiner Tochter die Decke bis zur Nasenspitze, bevor er ihr eine gute Nacht wünschte und das Licht abschaltete.

(c) 2010, Marco Wittler

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