Ein ungutes Gefühl
Es war tiefe Nacht. Draußen war so gut wie nichts zu erkennen. Das lag nicht nur an der Dunkelheit, sondern auch daran, dass weder Mond, noch Sterne zu sehen waren. Dicke Wolken hingen unter dem Himmel und ließen ununterbrochen dicke Regentropfen zur Erde prasseln.
Trotzdem saß ein Junge schon seit einiger in seinem Zimmer am Fenster und starrte auf die einsame, völlig verlassene Straße.
‚Bei dem Wetter jagt man nicht mal einen Hund nach draußen‘, sagte Papa immer bei diesem Wetter. Und trotzdem wartete Ben auf etwas.
Sein großer Bruder Daniel hatte ihm am Nachmittag erzählt, dass in der tiefen Nacht, wenn alle Menschen schliefen, die echten Halloweenmonster und Schreckgestalten die Stadt bevölkern und reichlich Schabernack treiben würden.
Vampire, Zombies, Mumien, Hexen, Untote, Geister und Gespenster würden in großen Gruppen durch die Straßen ziehen – völlig ungesehen und unbemerkt von den rechtschaffenden Menschen, die bereits ihre Köstüme abgelegt hatten und in ihren Betten schliefen.
»Wo bleiben sie denn nur?«, murmelte Ben immer wieder und musste minütlich gegen seine Müdigkeit ankämpfen.
»Hoffentlich habe ich sie nicht übersehen. Bei dem schlechten Wetter kann man da draußen kaum etwas erkennen.«
Er kniff die Augen etwas mehr zusammen und rückte näher an das Fenster, um besser sehen zu können. Doch auch dann waren keine Monster zu finden.
»Verdammt. Irgendwo müssen sie doch sein. Sie sind Gruselgestalten. Die werden doch wohl keine Angst vor dem Regen haben.«
Mit der Zeit wurde Ben immer mulmiger zumute. Was, wenn sie ihn am Fenster entdecken würden, wenn sie ihn sähen und dann herüber kämen?
Würden die an der Hauswand empor klettern und zu ihm hinein kommen? Ihm vielleicht etwas antun?
Ben bekam es mit der Angst zu tun. Er hatte das Gefühl, dass ein kalter Windhauch im streifte, obwohl nirgendwo in der Wohnung ein Fenster geöffnet war. Dann lief es ihm eiskalt den Rücken runter. Ben erschauerte. Er war kurz vor der Panik. Er wollte schreien. Doch dann würde er alle anderen aufwecken. Er drehte sich um und wollte sich in sein Bett unter die Decke flüchten, stieß dabei aber gegen etwas Großes, Schweres.
Ben schrie laut vor Schreck. Dann flammte die Lampe an der Zimmerdecke auf. Vor sich sah er seinen großen Bruder, der ihn hämisch auslachte.
»Wusste ich es doch, dass du die halbe Nacht am Fenster hocken wirst, wenn ich dir eine kleine Lügengeschichte zu Halloween erzähle.«
»Aber …« Ben fehlten die Worte.
»Hattest du Angst?«
Ben schüttelte den Kopf. Doch dann ließ er ihn hängen und nickte langsam.
»Mir ist es sogar kalt den Rücken runter gelaufen. So heftig hab ich das noch nie gespürt.«
Jetzt lachte Daniel noch mehr und zeigte ein Glas mit kaltem Wasser vor.
»Kein Wunder. Ich hab dir ja auch was von hinten in den Pulli gekippt.«
Ben fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er das hörte.
»Du bist so fies.«, blaffte er Daniel an. »Dafür räche ich mich nächstes Jahr.
(c) 2018, Marco Wittler
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