Der kleine Igel
Paul saß im Vorgarten unter dem großen Baum und bewunderte, wie Die Natur nach dem Winter zurück kam und von Tag zu Tag grüner wurde.
Nicht nur die Büsche hatten die ersten Blätter an den Ästen sprießen lassen, auch der Baum über Pauls Kopf gab sich ganz viel Mühe.
Von allen Seiten war das Zwitschern der Vögel zu hören und den Duft der nahen Rapsfelder wehte ein leichter Wind herüber.
In diesem ruhigen Moment war plötzlich ein leises Rascheln aus der einer Ecke an der Hauswand zu hören. Dort hatte Papa im Herbst einen große Menge Laub aufgehäuft. Nur war er bis jetzt nicht dazu gekommen, ihn in den Grünabfall zu bringen.
Paul grinste. Eigentlich hatte Papa bis jetzt keine Lust dazu gehabt.
Das Rascheln wurde ein wenig lauter. Es schien aus dem Laub zu kommen.
»Ist da jemand drin?«, fragte Paul unsicher.
Er überlegte, ob er lieber ins Haus gehen sollte, war dann aber doch zu neugierig. Langsam ging er näher heran und beobachtete den Haufen ganz genau.
Plötzlich schob sich eine kleine Nase daraus hervor, gefolgt von einer kleinen, behaarten Schnauze. Dort kam ein Tier zum Vorschein.
»Huch, was bist denn du für einer?«, war Paul überrascht.
War er überhaupt schon einmal einem solchen Tier begegnet? Er konnte sich nicht erinnern. Aber wie denn auch, wenn der Körper nicht zu sehen war?
Es raschelte wieder und das Tier kam auf den Rasen heraus. Der stachlige Rücken war eindeutig. Es war ein kleiner Igel.
»Du bist wohl noch neu hier, so klein wie du bist. Herzlich Willkommen im Vorgarten, kleiner Mann, ich bin der Paul.«
Der kleine Igel wackelte kurz mit seiner Nase, dann trottete er weiter, einmal quer durch den Vorgarten. Kurz bevor er die Einfahrt vor der Garage erreichte, erschrak Paul. Da war jemand in das Auto eingestiegen und hatte den Motor gestartet.
»Das muss Papa sein! Ich muss den Igel retten!«
Paul sprang von seinem Platz auf und rannte zur Auffahrt. Er hörte schon, wie Papa den Gang einlegte. Es konnte nur noch wenige Sekunden dauern, bis er den Wagen rückwärts zur Straße fahren würde.
Nur zu gern hätte sich Paul hinter den Wagen gestellt, um ihn zu stoppen, aber das wäre zu gefährlich gewesen. Den Igel konnte er auch nicht aufheben. Wie sollte ihn Papa da unten am Boden sehen? Also winkte er wie wild.
Papa nahm den Gang wieder raus, fuhr das Fenster seiner Tür herunter und steckte den Kopf raus.
»Was ist denn los? Ich hab es eilig. Ich muss noch schnell Milch besorgen.«
»Dann überfährst du aber den kleinen Igel, der hinter deinem Auto sitzt.«
Papa erschrak. Er stellte den Motor ab, stieg aus dem Auto und umrundete es.
»Tatsächlich. Ein kleiner Igel. Den hätte ich fast erwischt. Gut, dass du mich aufgehalten hast.«
Paul grinste und nickte stolz. »Man sollte immer aufpassen, wohin man fährt. Außerdem habe ich erst gestern im Radio gehört, dass im Moment ganz viele Igel unterwegs sind. Sie kommen aus ihren Winterquartieren und gehen auf Futtersuche. Da muss man überall aufpassen. Sie können sogar quer über die Straße laufen. Sie wissen ja nicht, wie gefährlich das ist.«
Nun nickte auch Papa und wischte sich erleichtert über die Stirn.
»Und sie können leider nicht den Kopf einer Ampel drücken. Dafür sind sie viel zu klein.«
Paul überlegte kurz, dann zog er sein T-Shirt aus, nahm damit den kleinen Igel vorsichtig hoch und setzte ihn vor der Hecke auf der anderen Seite der Einfahrt wieder ab.
»Mach es gut, kleiner Freund. Vielleicht sehen wir uns irgendwann mal wieder. Und jetzt viel Glück bei der Futtersuche.«
Der kleine Igel wackelte noch einmal mit der Nase, dann verschwand er unter der Hecke.
(c) 2020, Marco Wittler
Antworten