Papas Thron
Papa stand vom Sofa auf und verließ den Raum. Im Flur drehte er sich noch einmal um, sah seine Frau und die vier Töchter noch einmal an und nickte ihnen zu.
»Ihr wisst ja, ich will nicht gestört werden. Ich brauche doch immer eine ganze Weile.«
Mama verdrehte die Augen und zeigte auf die Tür, die sich hinter Papa befand.
»Mach es doch nicht immer so dramatisch. Wir wissen auch so, dass du jetzt zum Klo gehst. Das machen wir alle mehrmals jeden Tag, immer wieder. Ist nichts Besonderes. Kannst du mir ruhig glauben.«
Papa ignorierte sie, drehte sich um und verschwand im Bad.
»Was macht der eigentlich immer so lange da drin?«, fragte Mia, die älteste Tochter nach. »Niemand sonst braucht so lange. Würde er sich gründlich Make-Up auftragen, könnte ich das ja verstehen, aber wenn er nur auf dem Klo sitzt?«
Mama seufzte.
»Das frage ich mich schon seit Jahren. Er hat es mir aber nie erzählt.«
»Dann finden wir es einfach raus.«, sagte Anna, die jüngste der Mädels, sprang auf und lief zum Bad.
Sie hockte sich vor der Tür hin, hielt das Ohr ans Holz.
»Verdammt! Ich höre nichts.«, zischte sie und warf einen Blick durch das Schlüsselloch.
»Da hängt ein Handtuch. Ich kann auch nichts sehen.«
Sie stand wieder auf, blickte fragend zu den anderen und zuckte mit den Schultern. Anna legte die Hand auf die Klinke und öffnete einfach die Tür.
»Du musst ja gar nicht Groß.«, war sie überrascht. »Du hast sogar noch deine Hose an. Was machst du denn hier drin so lange?«
Papa riss die Augen auf. Sein Geheimnis war nun nicht mehr länger geheim. Sie hatten ihn erwischt.
»Ähm … also weißt du … das ist …«
Er stotterte, sah sich unsicher um und ließ die Schultern hängen.
»Ich brauche ab und zu mal ein wenig Zeit für mich, um etwas zu lesen.«
Tatsächlich hielt er eine Computerzeitschrift in Händen.
»Ich kann mich nicht so richtig konzentrieren, wenn ihr alle zusammen im Wohnzimmer sitzt, der Fernseher eingeschaltet, auf mehreren Handys Videos laufen, Spiele gespielt werden und alle durcheinander quatschen.«
Mama, die inzwischen auch ins Bad gekommen war, lächelte.
»Das ist doch kein Problem. Wir machen einfach etwas Platz in meinem Home Office Büro, stellen dir da einen Sessel und einen Tisch rein, damit du eine gemütliche Leseecke bekommst.«
Papas Blick erhellte sich.
»Noch lieber wäre mir eine Kuschelecke mit Decken und Kissen. Die hab ich damals in meinem alten Kinderzimmer auch so geliebt.«
Mama lachte.
»Bekommst du auch. Aber nun komm endlich aus dem Bad.«
(c) 2020, Marco Wittler
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