Der Fliegende Holländer
“Molly ist weg!”
Anna-Lena weinte dicke Tränen. Ihr geliebter Teddy war verschwunden.
Am frühen Morgen, als sie gerade aufgestanden war, schien noch die Sonne. Es sah nach einem schönen Tag aus. Deswegen hatte sie auch ihr Lieblingskuscheltier auf den Sims vor das geöffnete Fenster gesetzt. Die Aussicht von hier auf den nahen Fluss war schließlich traumhaft schön. Immer wieder fuhren kleine und große Schiffe und Boote zum Meer hinaus oder kamen von dort zurück.
Und nun war Molly weg. Das Wetter hatte sich während des Mittags verschlechtert und dicke Regenwolken versperrten die Sicht auf die warme Sonne.
Als Anna-Lena vom Essen zurück in den Garten kam, gab es einen kräftigen Windstoß und der Bär wurde herunter gepustet. Doch leider fiel er nicht in die Blumenbeete, sondern wurde von den wehenden Lüften bis zum Fluss getragen, wo er am Segel eines vorbei fahrenden Schiffes hängen blieb.
Anna-Lena bekam einen riesigen Schrecken, denn das war das Schlimmste, was ihrer Meinung nach, passieren konnte.
Sofort lief sie ans Ufer, aber all das Rufen nützte nichts, denn die Seeleute konnten sie nicht hören.
Verzweifelt sah sie hin und her und entdeckte an einem kleinen Steg den Nachbarn Knut mit seinem Boot, dem ‘Fliegenden Holländer’. Er war gerade von einer Fahrt zurück gekommen und packte die Segel ein.
Doch als im das weinende Mädchen erzählte, was gerade vorgefallen war, gab er sich einen Ruck und machte sich sofort wieder startklar. Ein paar Minuten später stachen sie zusammen in See.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie das größere Schiff eingeholt hatten. Aber dafür hing Molly noch dort, wo Anna-Lena ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Sie gingen längsseits, fuhren also direkt nebeneinander und riefen den anderen Seeleuten zu, dass sie den Teddy herunter pflücken sollten. Erst jetzt bemerkten diese ihren blinden Passagier.
Doch in diesem Moment, als ein Matrose zugreifen wollte, änderte der Wind seine Richtung und blies den Bären von Bord.
Hoch hinaus und immer höher wurde das Fellknäuel geweht. Bald schon war er nicht mehr, als ein kleiner dunkler Punkt vor den grauen Wolken. Es schien, als würde Anna-Lena ihren Liebling nie wiedersehen.
Aber Knut gab nicht auf.
“Wenn dein Teddy nicht herunter kommen will, dann müssen wir halt hinter ihm her. Schließlich heißt mein Schiff nicht umsonst ‘Fliegender Holländer’.”
Er holte ein paar zusätzliche Segel hervor und zog einige davon am Masten hoch. Die restlichen hängte er an langen Seilen auf und lies sie wie Drachen vor dem Boot wie Drachen fliegen.
Und dann geschah das Unglaubliche. Sie hoben tatsächlich ab und ließen das Meer unter sich zurück. Sie flogen hinauf, durch die Wolken hindurch und dem Himmel entgegen. Molly war ihnen direkt voraus.
Da sie aber nicht schnell genug waren, konnten sie ihn nicht einfangen.
Anna-Lena fragte sich, was sie nun tun könnten. Sie wusste sich keinen Rat mehr.
Knut schon.
“Wir segeln durch die Milchstraße. In ihrer Strömung sind wir schneller. Dann fahren wir an deinem Teddy vorbei und werden dann einfach darauf warten, dass er auf uns zu kommt.”
Das Blau des Himmels wich bald einem mit vielen hellen Sternen übersäten Schwarz. Dann gab es einen Ruck und sie wurden immer schneller. Sie hatten die Milchstraße erreicht.
Schon bald tauchte der nun langsamere Bär neben ihnen auf fiel immer mehr zurück.
“Jetzt holen wir ihn uns!”, sagte Knut.
Er lenkte den ‘Fliegenden Holländer’ aus der Strömung heraus und hielt an. Molly kam langsam näher geflogen und landete direkt in Anna-Lenas Armen. Sie drückte ihn fest an sich und lies ihn auf dem ganzen Rückweg nicht mehr los.
Zurück auf der Erde bedankte sie sich sehr bei Knut und lief nach Hause, um ihrer Schwester alles von diesem tollen Abenteuer zu erzählen, aber diese glaubte ihr davon kein einziges Wort.
Wenn Anna-Lena ihr den kleinen Beutel mit dem leuchtenden Sternenstaub aus der Milchstraße gezeigt hätte, den sie während der Heimkehr gesammelt hatte, wäre das bestimmt überzeugend gewesen. Aber den versteckte sie lieber unter ihrem Kopfkissen. So erinnerte er sie jeden Abend vor dem Schlafen gehen an dieses verrückte Abenteuer.
(c) 2005, Marco Wittler
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