075. Unfair – Eine Fußballgeschichte

Unfair – Eine Fußballgeschichte

»Und ich muss euch doch wohl nicht noch extra darauf hinweisen, wie wichtig es für uns ist, dass wir heute gewinnen. Davon hängt die Zukunft der Mannschaft ab. Es geht darum, dass wir den Abstieg verhindern. Ich hoffe, dass das allen klar ist.«
Der Trainer wanderte unruhig in der Kabine auf und ab. Immer wieder wanderte sein Blick von einem Spieler zum nächsten und dazwischen auf seine Uhr. Erzählte bereits die Minuten bis zum Anpfiff.
Elf Freunde sollt ihr sein!‹ prangte auf einem großen Poster an der Wand. Elf Freunde sollten bald auf den Rasen gehen und um ihre Zukunft spielen.
Paul, der Mannschaftskapitän sah die anderen Jungs an. Jeder von ihnen wusste, dass es bereits vorbei war. Sie wussten, dass der Gegner stärker war und am anderen Ende der Tabelle stand.
»Heute ist der letzte Spieltag. Gewinnen wir, bleiben wir in der Liga. Wenn ihr verliert, dann steigen wir ab. Und das wollt ihr doch wohl nicht, oder? Also strengt euch gefälligst an.«
Paul und seine Freunde konnten es nicht mehr hören. Jede Woche brachte der Trainer die gleichen Sprüche. Doch was sollten sie machen? Die anderen Mannschaften, gegen die sie Woche für Woche antraten, waren wesentlich größer und hatten viel mehr Trainingszeiten. Doch dafür hatte ihr Verein nicht das Geld.
Der Trainer schlug die Hände über dem Kopf zusammen und verließ die Kabine. Er ging zur Toilette und wartete den Beginn des Spiels ab.
Paul sah in die Runde.
»Es wird ernst. Die da draußen werden alles tun, um uns in der Luft zu zerreißen. Die freuen sich doch über jeden Absteiger, den sie fertig machen durften. Sie sind die beste und erfahrenste Mannschaft und sie sind alle mindestens einen Kopf größer, als wir. Wir haben keine Chance. Und genau darum sollten wir sie nutzen. Was haben wir denn noch zu verlieren?«
Er zeigte mit dem Finger auf das Poster an der Wand.
»Die da draußen sind eine Mannschaft, aber wir sind Freunde. Und genau das werden wir ihnen zeigen.«
Ein großer Jubel ging durch die Kabine. Dann ertönte ein Signal, die Jungen erhoben sich und begaben sich auf das Spielfeld.

Das Spiel begann wie es alle erwartet hatten. Es waren nur wenige Zuschauer hinter den Banden des Fußballplatzes. Die meisten von ihnen gehörten zur Gastmannschaft, von der ein großer Sieg erwartet wurde.
Der Schiedsrichter loste den Anstoß aus und lies seine Uhr laufen.
Paul formierte seine Mannschaft. Sie mussten zuerst die Abwehr schließen, denn der erste Ansturm kam bereits auf sie zu. Doch es half alles nichts. Es dauerte keine Minute, bis das erste Tor fiel.
Der Trainer am Spielfeldrand fluchte und schimpfte so laut er konnte. Am liebsten wäre er sofort auf den Rasen gelaufen um den Gegner in die Mangel zu nehmen. Doch der Schiedsrichter ermahnte ihn schnell.
Der Ball ging hin und her. Nur ganz selten hatte Pauls Mannschaft die Chance einen Schuss auf das Tor abzugeben. Schließlich ging das Leder doch einmal ins Netz.
Der Jubel unter den Jungen war groß. Die Gastmannschaft fluchte nicht und niemand gab einem anderen die Schuld an dem Treffer. Sogar der Trainer war die Ruhe selbst. Er besprach sich mit den Ersatzspielern und rief ein paar Taktikänderungen über das Feld.
»So einen Trainer könnten wir gebrauchen. Dann sähe bei uns bestimmt einiges anders aus.«
Doch mehr Zeit zum Überlegen blieb ihm nicht. Der nächste Angriff war in vollem Gange.
Die Stürmer des Gegners kamen angelaufen wie eine unüberwindliche Mauer. Sie waren zu allem entschlossen und wollten unbedingt ein Tor schießen. Pauls Abwehrspieler waren dadurch so eingeschüchtert, dass sie nicht wussten was sie machen sollten. Vor Angst wichen sie aus. Der Ball ging ins Netz. Es stand zwei zu eins.
Ein paar Minuten später wurde gepfiffen. Die erste Halbzeit war vorbei.

Der Trainer wartete bereits in der Kabine. Er hatte eine hochroten Kopf. Die Wut stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben.
Als die Jungen auf ihren Plätzen saßen platzte es aus ihm heraus.
»Ihr seid eine Schande für den ganzen Sport. So einen schlechten Fußball habe ich ihn meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Dass ihr euch überhaupt traut, nach diesem miserablen Spiel noch nach Hause zu gehen. Schämt euch in Grund und Boden.«
Paul hätte sich am Liebsten beschwert und die anderen in Schutz genommen. Aber er wusste auch, dass es nichts nützen würde. Wenn er still blieb würde es schneller vorbei sein.

Die zweite Halbzeit wurde angepfiffen. Doch das Spiel änderte sich nicht. Die Gastmannschaft war viel zu stark. Am Ende stand es acht zu eins.
Pauls Mannschaft niedergeschlagen. Sie hatten das Spiel verloren und den Abstieg konnte nun nichts mehr verhindern. Der Trainer kochte vor Wut er warf Handtücher durch die Gegend und schimpfte wie ein Rohrspatz. Die Jungen wurden von ihren Eltern in Empfang genommen und getröstet. Denn im nächsten Jahr konnten sie alles daran setzen aufzusteigen.

Ein paar Tage später kam ein neuer Spieler auf Pauls Schule. Paul erkannte ihn sofort, denn er hatte gegen ihn das letzte Fußballspiel bestritten. Er war der beste Stürmer. Doch etwas stimmte da nicht.
Paul hatte sich schon darauf vorbereitet, dass der Junge in seine Klasse kommen würde. Und dann würde es bestimmt dumme Sprüche geben, weil das letzte Spiel so viele Tore gegeben hatte. Doch nichts geschah.
»Das ist aber komisch. Wo mag er denn nun sein?«
Paul sah sich während der Pause um und entdeckte den Stürmer. Doch dieser stand bei den Kindern, die zwei Schulklassen höher waren. Und zu ihnen verschwand er dann auch in den Klassenraum, als die Schulglocke ertönte.
»Was, der ist schon so alt? Das darf doch gar nicht sein.«

Nach der Schule rannte Paul so schnell wie es ging nach Hause. Er erzählte seinen Eltern von seiner Entdeckung.
»Er ist zwei Klassen über mir. Dann ist er doch viel zu alt, um gegen uns zu spielen. Da ist doch etwas oberfaul.«
Pauls Vater dachte kurz nach, holte sich dann das Telefonbuch hervor und führte ein paar Telefonate. Worum es sich handelte, wollte er aber nicht verraten.

Am nächsten Wochenende war wieder Trainingszeit. Die Jungen trafen sich am Sportplatz. Doch keiner von ihnen hatte so richtige Lust. Sie hatten bereits erfahren, dass ihr Trainer das Handtuch geworfen hatte. Er hatte die Lust an der Mannschaft verloren.
»Paul, wie soll es denn nun weiter gehen? Ohne Trainer werden wir doch noch schlechter. Dann schaffen wir den Aufstieg doch nie.«
In diesem Moment kamen die Eltern der Jungen aus dem Vereinshaus.
»Kinder, wir haben gerade ein paar wichtige Gespräche mit der Ligenleitung geführt und es hat sich einiges ergeben.«
Pauls Vater holte einen Brief aus der Tasche, den er noch einmal kurz überflog, bevor er weiter redete.
»Wie ihr vielleicht schon gehört habt, gab es bei eurem letzten Gegner ein kleines Problem mit dem Alter der Spieler. Wie sich nun heraus gestellt hat, durften drei Stürmer gar nicht mehr mitspielen. Das bringt natürlich die ganze Tabelle durcheinander. Sämtliche Spiele von ihnen wurden annuliert. Die Mannschaft wird eine Liga nach unten gestuft. Dadurch bleibt ihr, wo ihr seit.«
Lauter Jubel übertönte nun, was Pauls Vater noch zu sagen hatte.
»Seid bitte noch einen Moment lang ruhig. Ich habe noch eine Neuigkeit. Da euer letzter Gegner sehr unfair gespielt hat und deren Trainer keine Ahnung davon hatte, gab er dort sein Amt auf. Und er freut sich nun schon sehr darauf, euch in der nächsten Spielzeit zum Sieg zu verhelfen.«
Paul und die anderen Jungen konnten es noch gar nicht glauben. Doch dann kam der neue Trainer schon aus dem Vereinshaus und begrüßte seine neue Mannschaft mit einem Lächeln.
»Dann kann ja nichts mehr schief gehen.«, sagte sich Paul.

(c) 2008, Marco Wittler

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