082. Der Mond wurde finster

Der Mond wurde finster

Der Abend brach an und die Sonne verschwand hinter dem Horizont. Sie machte Platz für den Mond und seine unzähligen Begleiter, die Sterne.
Armin saß auf einer kleinen Waldlichtung an seinem Lagerfeuer und wärmte sie sein Essen auf. In der kleinen Pfanne lag ein kleines Stück Pökelfleisch und auf einem der Steine am Rand ein Stück Brot.
Es war nicht gerade ein Essen für einen König, aber Armin war damit zufrieden.
»So lange ich überhaupt etwas zu Essen habe und jeden Tag satt werde, bin ich zufrieden.«
Gemütlich lehnte er sich an einen großen Baumstumpf und warf einen Blick in das unendliche Sternenmeer über sich. Dann nahm er das Brot, brach ein Stück davon ab und warf es in hohem Bogen über seinen Kopf hinweg.
»Ihr Götter im Himmel, ich möchte euch ein wenig meiner kargen Mahlzeit opfern, damit ihr freundlich gestimmt seit und auf mich acht gebt, wenn ich diese Nacht im Freien verbringe. Bitte haltet alle Gefahren von mir fern.«
Armin nahm das Fleisch aus der Pfanne, schnitt mit seinem Messer ein kleinen Teil ab und opferte auch diesen.
»Bitte sendet mir ein Zeichen, welches meine weitere Reise beeinflussen soll.«
Erst dann begann er zu essen.
Das Fleisch war zäh und das Brot trocken. Aber zumindest wurde der Magen voll. Vielleicht würde es ja doch bald wieder ordentliche Mahlzeiten geben.
»Wenn das Leben doch nicht so ungerecht wäre, dann hätte ich weiterhin in meiner Heimat bleiben und dort arbeiten können.«

Armin war auf der Flucht. In seinem Heimatdorf war ein Verbrechen geschehen. Jemand hatte vor einigen Monaten den Stern von Haladan gestohlen. Der Stern war eigentlich ein Stein, welcher vor ewigen Zeiten vom Himmel gefallen war. Er war ein Geschenk der Götter und schützte das Dorf vor allem Übel. Doch nun war er verschwunden.
Der Stern war in einer sonderbaren Nacht gestohlen worden. Die Sterne funkelten am Himmel und auch der Mond spendete sehr viel Licht. Armin war als Wachposten eingeteilt. Seine Aufgabe war es, den Tempel des Sterns von seinem Wachturm aus im Auge zu behalten, denn in der Nacht durfte ihn niemand betreten. Alles war ruhig und niemand war auf den Straßen zu sehen.
Doch dann geschah es. Wolken zogen auf und überdeckten die Sterne. Das war war nicht Ungewöhnliches. Aber als schließlich der Mond vom Himmel verschwand und dichte Nebelschwaden aufzogen, herrschte plötzlich absolute Finsternis.
»Was ist das? Wie kann das sein?«
Armin bekam es mit der Angst zu tun. Sofort holte er eine kleine Lampe hervor und entzündete ihr Feuer. Er blickte auf den Kalender, doch der Monat war noch nicht vorbei. Der Mond verschwand in regelmäßigen Abständen, kam dann aber auch zurück. Doch in dieser Nacht sollte er in voller Pracht am Himmel stehen.
»Oh, ihr Götter, welches Verbrechens klagt ihr uns Menschen an, dass ihr uns das Licht der Nacht nehmt?«
Eine Antwort bekam er nicht. Stattdessen hörte er nur das ferne Heulen der Wölfe im Wald.
Armin nahm seinen ganzen Mut zusammen und verließ seinen Posten. Mit der Lampe in der Hand ging er zum Tempel. Schließlich hatte er noch immer eine Aufgabe zu erfüllen.
Vorsichtig ging er die ersten Stufen hinauf. Er wagte es allerdings nicht, den Innenraum zu betreten. Zu sehen war allerdings nichts. Es war einfach viel zu finster.
Es verging einige Zeit. Bis auf einige Tiere im Wald war kein Geräusch zu hören.
Und dann wurde es schnell wieder heller. Die Wolken zogen weiter, der Nebel löste sich auf und der Mond kam wieder zum Vorschein.
»Seltsam, wirklich sehr seltsam.«
Armin sah sich um. Die Straßen waren wieder gut zu sehen und der Blick auf den Stern von Haladan wurde wieder frei.
Doch halt, was war das? Der Stern war verschwunden. Der große gläserne Schrein, in dem er während der Nacht aufbewahrt wurde, war leer.
In diesem Augenblick kam der Bürgermeister. Ab und zu war er in den Nächten unterwegs und spazierte durch die Straßen. Er genoss jedes Mal die Ruhe der Nacht.
»Was bist du bloß für ein Taugenichts. Der Stern ist verschwunden. Nun ist unser Dorf allen Gefahren schutzlos ausgeliefert. Ich werde dir zeigen, was dir für eine Strafe blüht.«
Doch dann hielt er inne und dachte kurz nach. Schließlich verfinsterten sich seine Augen.
»Hast du etwa selber unsere Gesetze gebrochen und den Tempel betreten, um den Stern zu stehlen?«
Der Bürgermeister nahm seinen Spazierstock fest in beide Hände und machte eine bedrohliche Geste.
Armin wusste, dass es nicht nützen würde, den Diebstahl abzustreiten. Niemand würde ihm glauben. Er versuchte es trotzdem.
»Aber der Mond verschwand vom Himmel. Es war absolut dunkel und ich konnte nichts sehen. Nur deswegen bin ich hierher gekommen, um den Stern im Auge zu behalten.«
Der Bürgermeister war außer sich vor Wut und holte mit dem Stock aus. Er schlug allerdings ins Leere, da Armin entsetzt zur Seite sprang und darauf hin schnell in die Nacht hinaus flüchtete.

Fleisch und Brot waren verspeist. Armin machte es sich an seinem Baumstumpf gemütlich, zog eine Decke über seinen Körper und sah wieder zu den Sternen hinauf, als er plötzlich ein Geräusch hörte. Im nahen Wald knackten ein paar Äste.
Armin stand entsetzt auf.
»Wer ist da?«, rief er.
Es kam zwar keine Antwort, dafür sprangen zehn Soldaten aus dem Dickicht, gefolgt vom Bürgermeister.
»Haben wir dich endlich erwischt. Ich wusste doch, dass du Dieb uns nicht entwischen wirst.«
Er wandte sich an seine Leute und brüllte weitere Befehle.
»Fesselt ihn gut, damit er uns nicht ein weiteres Mal entwischt. Ich will den Burschen in einer Stunde im Kerker sitzen sehen. Und nun durchsucht seine Sachen. Irgendwo muss der Stern sein.«
Aber die Suche war vergeblich, der Stern blieb verschwunden.
»Das kann doch nicht möglich sein. Wo hast du den Stein versteckt.«
Doch Armin konnte nicht antworten. Er lag gefesselt und geknebelt am Boden.
Plötzlich zogen Wolken auf und verdeckten die Sterne. Nebelschwaden erfüllten die kleine Lichtung und der Mond verlöschte. Es war so finster, dass niemand mehr etwas sehen konnte.
Der Bürgermeister wurde nervös.
»Was ist das? Was hat das zu bedeuten?«
Er stieß einen seiner Soldaten um. Dieser stürzte auf Armin.
»Glaube bloß nicht, dass du die Dunkelheit zur Flucht nutzen kannst. Das werde ich nicht zulassen.«
Der Soldat verstand sofort und hielt seinen Gefangenen fest umklammert.
Der Bürgermeister schimpfte. Er war es nicht gewohnt, unter freiem Himmel nichts sehen zu können. Doch dann verstummte seine Stimme.
Wer ihn nun hätte sehen können, hätte sofort bemerkt, dass er am ganzen Körper zu zittern begann.
»Das kann doch gar nicht möglich sein. Was geschieht hier?«
Mit seinen Worten zogen der Nebel und die Wolken weg und der Mond kam wieder zum Vorschein. Die Menschen bekamen ihr Licht zurück und konnten wieder etwas sehen.
Noch immer lag Armin gefesselt am Boden und ein Soldat lag auf ihm drauf.
Der zitternde Bürgermeister war in sich zusammen gebrochen und saß nun wimmernd auf seinem Hintern. In seinen Händen hielt er einen kleinen schwarzen Stein, der nun hell zu leuchten begann.
»Die Götter hatten den Stern zu sich in den Himmel geholt und ihn nun zu uns zurück geschickt. Sie haben den Bund mit uns erneuert.«
Langsam stand er auf und hielt den Stein in die Höhe.
»Habt Dank.«
Doch dann lies er die Arme wieder sinken und sah beschämt auf den Boden.
»Armin, es tut mir leid, dass ich an deiner Ehrlichkeit gezweifelt habe. Ich möchte mich bei dir entschuldigen.«
Die Soldaten halfen Armin sofort auf und befreiten ihn von den Fesseln.
Der Bürgermeister ging auf seinen ehemaligen Wachmann zu und drückte ihm den Stern in die Hand.
»Ich möchte, dass du ihn zurück in den Tempel bringst. Das bin ich dir schuldig. Und es wird auch der Wunsch der Götter sein, denn auf deinen Wunsch nach einem Zeichen, haben sie ihn zurück geschickt.«
Armin strahlte nun über das ganze Gesicht und war sehr stolz mit dieser wichtigen Aufgabe betraut worden zu sein.
Von nun an arbeitete er jede Nacht im Tempel. Er war der einzige, der die Erlaubnis dazu bekam. Von nun an sollte er den Stern von Haladan ganz persönlich und aus nächster Nähe bewachen. Und vielleicht würden die Götter ihm hin und wieder ein weiteres Zeichen senden, welches er den Menschen weiter geben sollte.

(c) 2008, Marco Wittler

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