Magische Geräusche
oder »Papa, was ist eigentlich ein Regenmacher«
Der Regen prasselte in Strömen aus den Wolken. Es war, als hätte der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet. Gerade in diesem Moment öffnete sich die gläserne Eingangstür und ein Mann kam mit seiner kleinen Tochter herein.
»Schau dich ruhig ein wenig hier um, aber mach nichts kaputt. Vielleicht finden wir hier ja ein paar Regenschirme. Ansonsten müssen wir hier bleiben, bis der Regen nachlässt.
Und nun befand sich Sofie mitten im Laden und sah sich um. Überall standen große Kisten, die mit viel Kram gefüllt waren. Das meiste davon war gerade gut genug, um nach dem Kauf sofort weg geworfen zu werden.
»Das ist doch nur wertloser Müll.«, sagte Papa jedes Mal, wenn Sofie etwas hervor holte und es ihm unter die Nase hielt.
»Und du weißt doch, dass wir nur Regenschirme suchen.«
Und weiter ging es. Sie wanderten von Regal zu Regal, stöberten hier und wühlten dort. Aber Schirme waren weit und breit nicht zu finden.
»Sie suchen Regenschirme?«, kam eine Frage von der Kasse.
Papa kam aus einer besonders großen Pappkiste hoch, sah sich erschreckt um und nickte dem Angestellten zu.
»Die werden sie nicht finden. Die sind seit einer Stunde ausverkauft, nachdem im Radio Regen angesagt wurde. Sie sind zu spät dran.«
Sofie ließ enttäuscht die Schultern sinken und seufzte.
»Aber dann schaffen wir es doch niemals trocken bis ins Eiscafé zu kommen. Oma wartet doch schon auf uns. Was sollen wir denn jetzt machen?«
Papa zuckte mit den Schultern und durchsuchte die nächste Kiste.
»Dann suchen wir eben nach etwas anderem. Vielleicht finden wir ja Regenponchos oder etwas anderes. Such einfach mal weiter.«
Es dauerte nicht lange, bis Sofie um eine Ecke bog und verdutzt stehen blieb. In einer der Kisten standen große hölzerne Rohre, die an beiden Seiten fest verschlossen waren. Auf dem Preisschild stand in großen Buchstaben das Wort Regenmacher.
»Papa, schau mal, was ich gefunden habe.«
Papa kam und beäugte fachmännisch den Fund.
»Schau mal einer an. Jetzt weiß ich auch, warum es draußen so schüttet. Die Regenmacher sind an allem schuld.«
Sofie wusste nicht, was er damit sagen wollte, also sah sie ihn ungläubig an.
»Wie soll denn ein Holzrohr am Wetter schuld sein? Das kann ich mir nicht vorstellen. Der Regen kommt doch aus den Wolken.«
Papa zwinkerte ihr zu und grinste.
»Aber was meinst du wohl, wo die Wolken her gekommen sind?«
Inzwischen hatte der Verkäufer seine Kasse verlassen. Er war neugierig geworden und gesellte sich zu den beiden.
»Also da bin ich jetzt mal gespannt, was sie dazu zu erzählen haben.«, sagte er.
Papa musste nachdenken. Doch dann schien ihm etwas einzufallen.
»Mir fällt da eine Geschichte ein. Sie handelt von der Erfindung der Regenmacher. Und die werde ich euch jetzt erzählen.«
Sofie und der Verkäufer strahlten über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«
Es war einmal eine Zeit, in der es den Menschen sehr schlecht ging. Wann genau das war kann ich nicht sagen, denn es ist schon sehr lange her.
Jeder von ihnen ging tagein und tagaus seiner Arbeit nach. Die einen saßen in ihren Werkstätten, Schneidereien, Bäckereien, die anderen bestellten das Land.
Vor allem die Arbeit auf den Feldern war sehr hart. Es musste der Boden gepflügt werden, Saatkörner in den Boden gegeben und regelmäßig gedüngt werden. Doch damit war es noch lange nicht getan, denn wenn erst einmal das Getreide anfing zu wachsen, brauchte es sehr viel Pflege. Es musste ständig genug Wasser bekommen und das Unkraut entfernt werden.
Jeden Abend kamen die Bauern erst spät nach Hause und beklagten sich bei ihren Frauen über die Schmerzen im Rücken.. Aber dennoch mussten sie weiter arbeiten, schließlich wollten die Menschen des Landes jeden Tag leckeres Brot essen. Und dafür braucht man jede Menge Getreide.
Eines Tages stand der König des Landes auf seinem Balkon und sah den Bauern bei der Arbeit zu. Er war ein sehr guter und freundlicher König, der sehr darauf bedacht war, dass es seinem Volk gut ging. Und daher sah er es mit Sorge, dass sich die Bauern auf den Feldern so quälten.
»Herr Minister, warum geht es den Bauern so schlecht? Was bedrückt sie?«
Der Minister kam sofort angelaufen und erstattete Bericht.
»Euer Majestät, es ist jeden Tag eine sehr harte Arbeit. Die jungen Pflanzen müssen gehegt und gepflegt werden. Jeden Tag brauchen sie Dünger und Wasser. Und wir wissen ja, dass beides nicht gerade vom Himmel fällt. Dort oben herrscht einzig und allein die Sonne.«
Der König warf die Stirn in Falten und dachte nach. Aber es fiel ihm keine Lösung ein.
»Dann beauftrage alle klugen Männer unseres Landes damit, eine Lösung zu finden. Ich möchte, dass es den Bauern besser geht.«
Der König hatte befohlen und der Minister führte es aus. Schon am nächsten Morgen waren die Kuriere des Schlosses in allen Städten unterwegs und verkündeten den Befehl.
Jeder Mensch soll sich auf Geheiß des Königs Gedanken darüber machen, wie es den Bauern einfacher gemacht werden kann, seine Felder zu bewirtschaften. Ihnen soll die harte Arbeit des Pflanzengießens genommen werden. Wer es schafft, ohne Arbeit die Felder zu bewässern soll reich belohnt werden.
Die Menschen waren von dieser Aufgabe begeistert. Und so machten sie sich auf und dachten gründlich darüber nach. Aber es fiel ihnen nichts ein.
So manch einer kam auf irrwitzigste Ideen. Man solle große Rohre von den städtischen Brunnen zu den Feldern legen, damit das Wasser von allein zu seinem Ziel fließen könne. Aber der König war der Meinung, dass es auch einfacher gehen müsse.
Es ging viel Zeit ins Land und die Ideen wurden weniger und weniger. In diesem Sommer fiel nur ganz selten Regen. Die Bauern mussten noch mehr arbeiten, als sie es gewohnt waren. Schließlich wollte der König schon aufgeben und der Bewässerung mit Rohren zustimmen, als ein junger Mann an die Schlosstore klopfte und darum bat, herein gelassen zu werden.
Der Minister brachte den Mann sofort zum König.
»Nun? Was für eine Idee hast du ausgetüftelt?«
Der Mann holte ein langes hölzernes Rohr hinter seinem Rücken hervor. Doch der König winkte sofort ab.
»Wenn du meinst, dass du etwas Neues vorbringst, dann muss ich dich enttäuschen, denn Rohrbewässerung hatten wir schon.«
Aber der Mann schüttelte nur lächelnd den Kopf.
»Wenn ihr einmal genauer hinschaut, euer Majestät, dann wird euch sicherlich auffallen, dass mein Rohr nur knappe zwei Meter lang ist und an beiden Seiten verschlossen wurde.«
Der König beugte sich vor, setzte seine Brille auf die Nase, besah sich das Rohr und nickte schließlich.
»Ich nenne diese Gerät Regenmacher, denn es macht genau das, was sein Name sagt. Es macht Regen.«
Der König sah verwirrt aus und runzelte die Stirn.
»Ich weiß, dass ihr mich für verrückt haltet. Daher werde ich euch einen Beweis liefern.«
Der Mann öffnete das Rohr an einer Seite. Im Inneren waren unzählige Kaktusstachel befestigt, die kreuz und quer durcheinander standen.
»Unten im Rohr befinden sich viele Reiskörner. Wenn ich es nun umdrehe, fallen sie alle hinab und prasseln über die Stacheln nach unten.«
Der Mann verschloss seinen Regenmacher und drehte ihn um. Augenblicklich konnte der König das Geräusch eines Sommerregens aus dem Rohr hören.
»Das ist ja unglaublich. Aber kann es auch mehr als nur Geräusche erzeugen?«
Ohne ein weiteres Wort nahm der Mann den König an die Hand und zog ihn zum Balkon.
»Seht her.«
Unter dem freien Himmel drehte er den Regenmacher ein weiteres Mal um. Erneut entstand das Geräusch. Doch diesmal verstummte es nicht nach ein paar Sekunden. Es blieb.
Als der König sich umsah, glaubte er, seinen Augen nicht mehr trauen zu können. Wie aus dem Nichts waren dicke Wolken erschienen, aus denen es nun regnete.
Nach einem weiteren Prasseln aus dem Rohr verschwanden die Wolken und wichen vor der Sonne zurück.
»Ihr könnt es nun jederzeit selber bestimmen, wann Regen und Sonne ihre Plätze tauschen sollen.«
Der König war begeistert. So ein Wunderwerk hatte er noch nie gesehen.
In seiner großen Dankbarkeit ernannte er den Mann zum neuen Wetterminister und beauftragte ihn damit, von nun an dafür zu Sorgen, dass die Felder genug bewässert wurden, aber auch genug Sonnenlicht bekamen, damit die Getreidepflanzen gut wachsen konnten.
Sofie sah ihren Papa an und zog die Stirn kraus.
»Die Geschichte glaubst du doch selber nicht, oder?«
Papa grinste.
»Oh doch. Sie ist von Anfang bis Ende wahr.«
Sofie dachte kurz nach.
»Und woher willst du das alles wissen? Du hast doch selber gesagt, dass es schon ganz lange her ist.«
Papa lachte und hielt sich den Bauch.
»Du bist ja schlauer als ich dachte. Aber trotzdem lüge ich nicht. Schließlich war es mein eigener Urgroßvater, der den Regenmacher erfunden hat.«
Der Verkäufer nahm eines der Holzrohre aus dem großen Karton und drehte ihn um. Das Prasseln darin übertönte sogar den Regen von draußen.
Als schließlich das Geräusch im Regenmacher verklang, war plötzlich nichts mehr zu hören. Der Regen hatte nachgelassen und die Sonne kam hervor.
»Na, was habe ich gesagt?«, fragte Papa nun.
»Mensch, Papa, du bist der Beste. Jetzt können wir uns ja doch noch mit Oma treffen. Und dazu habe ich noch eine ganze tolle Geschichte gehört.«
Papa nahm seine kleine Tochter an die Hand und spazierte mit ihr durch die Ladentür nach draußen.
(c) 2008, Marco Wittler
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