Teddy auf der Flucht
Lange Zeit hatte Teddy in einem kleinen Schuhkarton gelebt. Dieser stand über viele Jahre in einem dunklen Keller, der nur selten von irgendwem betreten wurde. Teddys braunes Fell war über die Zeit schon ein wenig staubig geworden. Etwas muffig roch es mittlerweile auch. Doch das machte ihm nichts aus, denn hier im Keller hatte er immer seine Ruhe gehabt.
Wenn er ab und zu an frühere Zeiten dachte, dann wurde ihm immer sehr schwindelig. Er hatte in einem schrecklichen Kinderzimmer leben müssen. Sein damaliger Besitzer, ein fünfjähriger Junge, hatte Teddy immer nur hin und her geworfen. Das hatte so manchen blauen Fleck gegeben und an einem Bein war eine Naht geplatzt, aus der nun das Innenfutter heraus schaute.
»Aber das ist nicht so schlimm. Dafür kann ich hier in meinem Versteck liegen und habe meine Ruhe.«, sagte sich Teddy dann immer.
Eines Tages war wieder jemand im Keller. Das Licht wurde eingeschaltet. Der Besucher kramte in Schränken und Regalen herum.
Teddy verhielt sich so still, wie er nur konnte, damit er nicht bemerkt würde. Aber dann wurde sein Schuhkarton schließlich doch noch hervor geholt.
»Schau mal einer an.«, sagte eine Männerstimme. »Da ist ja mein alter Teddybär. Der kommt auch mit auf den Trödelmarkt.«
Trödelmarkt? Teddy glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Der Handel mit Teddybären war strengstens verboten. Zu dumm, dass die Menschen davon noch nichts gehört hatten.
Ein paar Stunden später wurden viele Gegenstände aus dem Kofferraum eines Wagens auf einen Tisch gelegt. Dieser stand mitten auf einem großen Platz in der Stadt.
Teddy hob vorsichtig den Deckel an und sah sich um. Hier und da entdeckte er ein paar Artgenossen, die ebenfalls heute verkauft werden sollten. Einer von ihnen sah sogar besonders mitgenommen aus. Es fehlten ihm ein Auge und ein Bein.
»Oh je. Hoffentlich will mich niemand kaufen. Kinder sind ja so grausam zu uns Bären. Ich will doch einfach nur meine Ruhe haben.«
Ständig sah er Kinder über den großen Platz laufen. Sie schauten hier und schauten dort. Sie nahmen Spielzeuge in die Hand und sahen sie sich genau an.
Nach und nach verschwanden alle Teddys vom Flohmarkt. Sie wurden alle verkauft. Sogar der Einäugige wechselte seinen Besitzer.
»Vielleicht habe ich ja doch noch Glück und darf wieder in meinen dunklen Keller zurück.«
Doch dann wurde der Schuhkarton hoch gehoben, gerüttelt und geschüttelt.
»Was ist denn da drin?« Darf ich mal rein schauen?«, war eine Kinderstimme zu hören.
Der Deckel wurde abgenommen und das Gesicht eines Jungen sah hinein. Teddy bekam große Angst. Noch schlimmer wurde es, als er heraus geholt wurde. Das Kind drückte ihn an sich.
»Mama, den will ich haben. Der ist so schön kuschelig.«
Die Mama sah Teddy prüfend an.
»Nein, der ist nichts mehr. Schau ihn dir doch an. Der ist dreckig, riecht nicht mehr gut und am Bein ist er auch schon kaputt. Leg ihn wieder weg, wir finden ein schöneres Kuscheltier für dich.«
Teddy war der Mama unglaublich dankbar.
»Ja, legt mich bitte wieder weg und vergesst mich sofort. Ich bin alt, schäbig und stinke nach Keller.«, dachte er bei sich.
Doch das Kind war anderer Meinung.
»Wir können ihn doch waschen und reparieren. Mama, du kannst doch nähen.«
Die Mama gab nach, drückte dem Verkäufer ein paar Münzen in die Hand und verstaute das Kuscheltier wieder in seinem Schuhkarton.
Teddy bekam Panik. Er hatte einen neuen Besitzer bekommen. Es war ein kleines Kind und es würde nun bestimmt wieder so eine schreckliche Zeit werden, wie früher. Vielleicht würde es sogar noch schlimmer werden. Er sah sich bereits in einer Ecke des Zimmers liegen, ohne Augen und Arme.
»Hilfe!«, schrie er. Aber niemand konnte ihn hören.
Ein paar Stunden später legte das Kind den Schuhkarton auf den Schreibtisch und packte seinen neuen Bären aus.
»Super, du hast mir noch gefehlt. Du kommst gleich zu den anderen Kuscheltieren.«
Teddy wurde auf ein Regal gesetzt. Links und rechts von ihm saßen noch ein paar andere Tiere. Es waren eine Maus, die viel zu lange Beine hatte und ein weiterer Bär in einem braunen Pullover.
»Die beiden können mich bestimmt nicht leiden, weil ich der Neue bin. Sie wollen mich bestimmt schnell wieder los werden.«, bibberte Teddy vor sich hin.
Als das Kind sein Zimmer verlies, ergriff er seine Chance und kletterte am Regal hinab.
Teddy überlegte, wie er so schnell wie möglich verschwinden konnte. Dann sah er das offene Fenster. Er lief hin, kletterte an der Gardine nach oben und hüpfte nach draußen.
Er fiel weit nach unten und landete in einem Sandkasten. Ohne Pause lief er sofort weiter zum Zaun.
»Vielleicht kann ich mich ja in einem tiefen Wald verstecken. Da wird mich niemand finden.«
Weit kam er allerdings nicht, denn die Maschen des Zaunes waren viel zu eng und Teddy passte nicht hindurch. Er musste einen anderen Weg finden.
»Huch, wie kommst du denn nach draußen?«
Da war wieder die Stimme der Mutter.
Teddy wurde ergriffen und in ein neues Zimmer gebracht.
»Jetzt wollen wir dich erst einmal wieder gesund machen, du kleiner Ausreißer.«
Die Mutter holte Nadel und Faden und nähte ganz vorsichtig die geplatzte Naht zu. Teddy hatte Angst, aber es tat nicht einmal weh.
Nach der Operation ging es ins Badezimmer. Dort wurde der kleine Bär von oben bis unten gewaschen. Der Staub der vielen Jahre und der Kellergeruch verschwanden.
Teddy fühlte sich schon fast so, als wäre er gerade neu geboren worden.
»Und jetzt kommst du an deinen neuen Stammplatz.«, war das letzte, was er von der Mama zu hören bekam.
Es war mittlerweile schon dunkel geworden und der kleine Junge lag in seinem Bett. Es war Zeit zum Schlafen.
Die Mama legte Teddy mit ins Bett, wünschte eine gute Nacht und verließ das Zimmer.
»Endlich hab ich dich wieder, mein schöner, weicher Kuschelbär. Und ich werde immer aufpassen, dass du nie wieder so schlecht behandelt wirst wie früher.«
Der Junge drückte Teddy an sich und schlief ein.
»Eigentlich fühlt es sich richtig schön an, wenn man gekuschelt wird. Komisch, dass ich davor so viel Angst hatte.«, murmelte Teddy vor sich während er ebenfalls einschlief.
Etwas weiter weg saßen der Pulloverbär und die Maus mit den langen Beinen. Sie schauten den beiden Schlafenden zu und lächelten.
(c) 2008, Marco Wittler
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