1020. Flaschenpostbote Knut wird vom Strudel verschluckt

Flaschenpostbote Knut wird vom Strudel verschluckt

Knut zog sich die blaue Jacke über, strich die Ärmel glatt und sah sich prüfend im Spiegel an. Etwas fehlte da noch. Ach, ja. Die passende Schirmmütze gehörte unbedingt auf den Kopf. Er legte den breiten Ledergürtel und seine große, schwere Tasche um. Zuletzt rückte er den Seestern auf der Brust zurecht und nickte endlich. Er war fertig und konnte in den Tag starten.

Der Meermann, verließ er sein Haus und schwamm los. Ihm folgte ein großer Krake, der die restlichen Taschen in seinen Armen hielt. Die Flaschenpost musste ausgeteilt werden. Sein Weg führte ihn wie immer zuerst zur nahen Grundschule, wo die Kinder am Zaun schon auf ihn warteten.
»Knut! Fiete! Enno!«, stürmten sie laut rufend auf die Drei zu. »Könnt ihr uns eines eurer verrückten Erlebnisse erzählen?«
Knut strich sich seinen Schnurrbart zurecht, dachte kurz nach und begann zu grinsen.
»Mir fällt da etwas ein. Ich hatte vor ein paar Tagen das verrückteste Erlebnis meines Lebens. Es klingt so unglaublich, dass es mir niemand glauben wird. Davon werde ich euch jetzt berichten.«
Auf dem Schulhof wurde es mucksfischchenstill, als Knut zu erzählen begann.

Flaschenpostbote Knut kannte das Meer wie seine lederne Umhängetasche. Er kannte die schönen, aber auch die gefährlichen Orte, die man besser meiden sollte. An einen von der letzten Sorte verschlug es ihn dann doch. In der Nähe sollte eine Flaschenpost ausgeliefert werden.
»Dieser Strudel macht mir mehr Angst als alles andere.«, murmelte er beim Anblick des riesigen Schlundes. »Mit Kraft zieht er dich hinein und man weiß nicht, wo man wieder raus kommt.«
Knut wollte schon weiter schwimmen, als eine unerwartete Strömung gegen den Strudel drückte und ihn auf dem Meermann entgegen schob.
»Beim Neptun!«
Es war zu spät. Knut wurde verschluckt. Es kam ihm vor, als würde er stundenlang im Kreis gewirbelt. Doch stattdessen dauerte es nur wenige Sekunden, bis er wieder ausgespuckt wurde. Er lag vor der örtlichen Grundschule, die sich aber merklich verändert hatte. Das Seegras und die angepflanzten Korallen waren viel kleiner, als er sie in Erinnerung hatte. Auch der Anstrich des Gebäudes hatte eine andere Farbe. Es sah alles aus, wie in Knuts Kindheit.
»Kann das wirklich wahr sein? Hat mich dieses teuflische Ding durch die Zeit in die Vergangenheit geschickt?«
Es klingelte zur Pause. Die Kinder strömten nach draußen und sahen den Flaschenpostboten. Neugierig kamen sie auf ihn zu.
»Heute hat schon jemand die Post gebracht.«, sagte eine kleine Meerjungfrau. »Du bist bestimmt falsch hier.«
Knut dachte nach und nickte. »Ja, stimmt. Ich bin tatsächlich falsch abgebogen und sollte woanders sein.«
Er sah sich um und entdeckte einen kleinen Meerjungen, der abseits von den anderen schwamm. Knut musste grinsen. Diesen dort kannte er sogar. Das war er selbst.
»Hey, Kleiner!«, rief er den Schüchternen zu sich. »Ich habe etwas für dich.«
Der kleine Knut kam langsam näher, hielt aber den Blick zum Boden gesenkt. »Ich kann nicht glauben, dass du etwas für mich dabei hast. Ich habe noch nie Post bekommen. Mich kann auch niemand leiden. Also wer sollte mir etwas schicken?«
Der große Knut grinste und nahm seine Mütze ab. »Ich möchte dir meine Mütze schenken. Damit bist du dann offizielles Mitglied der Flaschenpost. Ich kann mit gut vorstellen, dass du eines Tages einer besten und beliebtesten Flaschenpostboten der ganzen Stadt unter dem Meer sein wirst.«
Knut zwinkerte dem Kleinen zu. »Und mal unter uns: Flaschenpostboten sind sehr beliebt.«
Der kleine Knut sah sich die Mütze von allen Seiten genau an, setzte sie sich schließlich auf den Kopf und begann zu strahlen. »Ich werde Flaschenpostbote! Das ist eine prima Idee.«
Sofort begann er Dinge einzusammeln und sie dann den anderen Kindern auf dem Schulhof zuzustellen.
Der große Knut hingegen seufzte und erinnerte sich wieder an seine Zeit als Kind in der Schule.
»Ich kann mich noch genau an diesen Moment erinnern, als mir der Flaschenpostbote meine Mütze schenkte. Wer hätte damals ahnen können, dass ich es selbst gewesen bin?«
Knut strich sich wehmütig über seine Mütze, schwamm zurück in den Strudel und reiste zurück in seine eigene Zeit.

Die Kinder der Grundschule sahen die Flaschenpostboten mit großen Augen an. Eine Zeitreise zu seinem jüngeren Ich klang wirklich unglaublich.
»Ihr könnt mit glauben, alles was ich erlebt haben, ist wahr.« Zum Beweis zeigte der Meermann seine Mütze vor, die schon sehr alt aussah.
Knut, Fiete und Enno der Seestern winkten noch einmal zum Abschied, und machten sich wieder auf den Weg.

(c) 2021, Marco Wittler

Bild: Nik Karlov auf Pixabay

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*