1026. Flaschenpostbote Knut eilt zur Rettung

Flaschenpostbote Knut eilt zur Rettung

Flaschenpostbote Knut zog sich die blaue Jacke über, strich die Ärmel glatt und sah sich prüfend im Spiegel an. Etwas fehlte da noch. Ach, ja. Die passende Schirmmütze gehörte unbedingt auf den Kopf. Er legte den breiten Ledergürtel und seine große, schwere Tasche um. Zuletzt rückte er den Seestern auf der Brust zurecht und nickte endlich. Er war fertig und konnte in den Tag starten.

Der Meermann, verließ er sein Haus und schwamm los. Ihm folgte ein großer Krake, der die restlichen Taschen in seinen Armen hielt. Die Flaschenpost musste ausgeteilt werden. Sein Weg führte ihn wie immer zuerst zur nahen Grundschule, wo die Kinder am Zaun schon auf ihn warteten.
»Knut! Fiete! Enno!«, stürmten sie laut rufend auf die Drei zu. »Könnt ihr uns eines eurer verrückten Erlebnisse erzählen?«
Knut strich sich seinen Schnurrbart zurecht, dachte kurz nach und begann zu grinsen.
»Mir fällt da etwas ein. Ich habe vor ein paar Tagen ein schreckliches Verbrechen aufgedeckt. Davon werde ich euch jetzt berichten.«
Auf dem Schulhof wurde es mucksfischchenstill, als Knut zu erzählen begann.

Flaschenpostbote Knut nahm sich an seinem freien Tag die Zeit, mal über die Grenzen der Stadt unter dem Meer hinaus zu schwimmen. Er mochte es sehr, den Trubel und die Hektik hinter sich zu lassen. Dann macht er sich auf den Weg hinaus in die unberührte Natur des Ozeans, streifte durch Korallenwälder oder erfreute sich an großen Seegraswiesen, auf denen Seekühe grasten.
»Ich glaube, ich schaue mir heute mal etwas Neues an.«, entschloss er sich und schwamm an einem langen Kliff entlang, das erst kurz vor der Wasseroberfläche zu enden schien.
»Ich bin gespannt, was sich da oben befindet. Ist dort das Meer zu Ende? Gibt es dort eine Küste oder fällt es irgendwann wieder in die Tiefsee ab?«
Knut bewegte seine kräftige Schwanzflosse hin und her und überwand den Höhenunterschied in nur wenigen Minuten. Vor ihm endete tatsächlich seine Welt und ging in einen weiten Strand über. Die Sonne schien herab und bräunte unzählige halbnackte Leiber von Menschen mit zwei Beinen, die hier ihre Freizeit verbrachten.
»Wenn ich nur bis zu meiner Körpermitte auftauche, wird niemand merken, dass ich einen schuppigen Schwanz habe. Dann kann ich sie ganz in Ruhe beobachten.«
Knut tauchte auf und sah sich um. Das ungewohnt warme Gefühl der Sonne war angenehm. Das langsam auf seiner Haut trocknende Salzwasser prickelte.
Knut musste lachen, als er sah, wie unbeholfen sich die Menschen im Wasser bewegten. Beine waren eindeutig nicht zum Schwimmen und tauchen geeignet.
Irgendwann fiel dem Meermann auf, dass die Menschen in größeren Gruppen ein am Wasser stehendes Gebäude betraten. SEAWORLD war darauf geschrieben.
»In diesem Haus soll sich eine ganze Meereswelt befinden?«, wunderte sich Knut. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Es ist viel zu klein.«
Er schwamm hinüber, um einen Blick ins Innere zu werfen. Und dann stockte ihm der Atem. Er sah kleine Glasbehälter, in denen Meeresbewohner ihr Dasein fristeten. Er entdeckte ein Schwimmbecken, in dem mehrere Delfine gefangen waren und sich nicht richtig bewegen konnten.
»Beim Neptun! Das ist ja wie ein Gefängnis. Das ist grausam. Warum machen die Menschen der trockenen Welt so etwas?«
Knut hatte genug gesehen und tauchte ab. Er musste schnell wieder zurück in seine Stadt. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn die Menschen von der Existenz der Meermenschen wüssten.
Der Flaschenpostbote legte sich am Abend ins Bett. Den Weg in den Schlaf fand er alelrdings nicht. Unruhig wälzte er sich Stunde um Stunde in seinem Bett hin und her.
»Wie kann ich nur hier mein Leben in Freiheit genießen, wenn andere gefangen gehalten werden, um Menschen zu unterhalten. Das kann ich einfach nicht. Es muss etwas unternommen werden.«
Er verließ sein Haus, trommelte so viele Meermenschen aus ihren Betten und versammelte sie auf dem Marktplatz. Dort berichtete er von den grausamen Entdeckungen, die er gemacht hatte.
»Wir müssen unsere Freunde befreien. Das ist unsere allerhöchste Pflicht.«
Schnell wurden Pläne geschmiedet und Aufgaben verteilt. Die Meermenschen waren wild entschlossen, jedes Meerestier zu befreien. Vor allem die Delfine brauchten Platz, um sich richtig bewegen zu können.
Noch in der Nacht machten sich gemeinsam auf den Weg zur Küste. Im Schutz der Dunkelheit erreichten sie das SEAWORLD. Mit der Hilfe von etwas Werkzeug öffneten sie das viel zu kleine Schwimmbecken und entließen die dankbaren Delfine in die Freiheit. Dann wurden auch alle anderen Becken geöffnet und die Tiere zurück ins Meer gebracht.

Die Kinder der Grundschule sahen den Flaschenpostboten mit großen Augen an. Sie hatten nicht damit gerechnet, von einer so unglaublichen Heldentat zu .
»Ihr könnt mir glauben, alles was wir erlebt haben, ist wahr.«

(c) 2021, Marco Wittler

Bild: Nik Karlov auf Pixabay

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