Wo geht’s hier zur Badewanne?
Es war um Mitternacht, zur Geisterstunde, als Leben in den Dachboden der alten Burgruine auf dem nahen Hügel kam. Wobei, eigentlich war es eben kein Leben, das sich regte, denn ein Geist von kleinem Wuchs kam aus seinem Versteck hervor und war sich ziemlich sicher, seit langer Zeit schon nicht mehr am Leben zu sein. Dafür konnte er umso schöner spuken und durch Wände schweben, was er auch direkt in die Tat umsetzte. Mit einem säuselndem Hui verließ er das alte Gemäuer und fand sich mitten in der Luft hängend wieder. Ein aufmerksamer Beobachter hätte ihn vielleicht mit einer kleinen, unscheinbaren Wolke verwechselt.
Der kleine Geist schwebte durch die Nacht, hielt sich mal hier nud mal dort auf. Er suchte nach etwas, womit er sich die Zeit vertreiben konnte. Ein Spiel wäre fein gewesen oder einfach nur das heimliche Beobachten eines Menschen. Doch daraus sollte einfach nichts werden, denn die Straßen waren wie leer gefegt.
Der Geist schwebte weiter über die Dächer der Stadt hinweg, bis er am Zoo vorbei kam. Hier gab es gleich viel mehr zu bestaunen, denn manche Tierarten wurden erst in der Nacht so richtig aktiv.
»Ui.«, freute sich der Geist. »Da vorne sind die Flusspferde. Die finde ich besonders putzig. Sie sind so groß und schwer und schauen trotzdem mit ihren Öhrchen irgendwie ganz süß aus. Ich bin mir sicher, dass sie sehr gemütliche und freundliche Tiere sind.«
Der Geist setzte sich auf einen Baum und behielt die Kolosse im Auge. Schon bald tat sich etwas in dem riesigen Gehege.
»Los, Leute!«, rief das größte Flusspferd von allen. »Lasst und ein Mitternachtsbad nehmen. Wer als Letzter im Teich ist, ist eine lahme Schnecke und ein Blindfisch.«
Die großen Tiere setzten sich in Bewegung und wurden unerwartet schnell. Rücksicht nahm keines von ihnen auf die anderen. Sie schubsten sich gegenseitig aus dem Weg, nur um als Erster im Wasser zu sein. Ein einziges Flusspferd blieb zurück und sah dabei sehr traurig aus.
»Aber … aber … ich weiß doch den Weg zum Wasser nicht. Wo geht es lang? Ich bin doch so vergesslich.«
Es sah sich unsicher um. Musste es nach links oder nach rechts gehen? War der Teich hinter ihm oder doch gerade aus? Dass man in dieser Dunkelheit aber auch nichts erkennen konnte. Wäre es doch bloß nicht als Baby gegen den großen Baum im Gehege gelaufen. Dann könnte es nicht besser erinnern. Aber seit diesem Unfall vergaß es immer mehr.
»Ich mag dieses Spiel nicht.«, rief es lauf. »Ich verliere dabei jedes Mal. Ihr spielt das nur, weil ihr mich damit ärgern wollt.«
Enttäuscht setzte es sich hin. Warum nach dem Weg suchen, wenn es eh schon verloren hatte?
Der kleine Geist hatte sich das alles mit angesehen und war traurig berührt. Wie konnten diese großen Tiere nur so gemein sein? Dagegen musste er etwas unternehmen. Sofort schwebte er hinab und zeigte sich dem kleinen Flusspferd. »Ich werde dir helfen und dir den Weg weisen.« Er band dem Tier eine Leine um den Hals, machte sich unsichtbar und führte es im Gehege umher. Immer wieder flüsterte er dem Flusspferd das nächste Ziel ins Ohr, damit es dieses laut rufen und seinen Artgenossen zeigen konnte, dass es doch nicht so vergesslich war. Zum Schluss begab es sich gemächlichen Schrittes in den Teich und ließ sich im Wasser nieder.
»Ich muss mich nicht beeilen, um als Erstes im Wasser zu sein. Warum soll ich mich mit euch streiten? So komme ich wenigstens ohne Rempler und blaue Flecken hier an.«
Die anderen Flusspferde waren verblüfft. Das Kleine ließ sich gar nicht mehr ärgern. Das fanden sie sehr enttäuschend.
In diesem Moment wurde der kleine Geist wieder sichtbar und jagte den riesigen Tieren einen großen Schrecken ein.
»Und wer es nochmal wagt, das kleine Flusspferd zu ärgern, bekommt es mit mir zu tun. Die Rache eines Geistes kann fürchterlich sein.«
Fast hätte sich der kleine Geist vor sich selbst gefürchtet. Er wusste nämlich selbst nicht, wie schlimm die Rache eines Geistes sein würde. Langsam schwebte er vom Flusspferdteich fort und winkte noch einmal zum Abschied, denn es war Zeit Lebewohl zu sagen. Am Horizont kündete schon ein erster Sonnenstrahl den neuen Morgen an. Der kleine Geist wurde müde und gehörte ins Bett.
(c) 2022, Marco Wittler
Die Idee zu dieser Geschichte bekam ich durch die wirklich süße Hippo Zeichnung der lieben Rike. Schau dir doch mal ihr Profil bei Twitter an. Da gibt es noch sehr viel mehr von ihrer Kunst zu entdecken. Es lohnt sich.
https://twitter.com/fuchsfamos/status/1483800730481963011?s=20
Antworten