Piratenkapitän Knorf und die verschollene Karte
Knorf stand vor dem halb blinden Spiegel in seiner Kajüte. Er rückte seine Augenklappe zurecht, setzte seinen Piratenhut auf und achtete penibel darauf, dass sein zotteliges Fell möglichst unordentlich aussah. Niemand sollte ihn für ein harmloses Plüschmonster halten. Er war schließlich ein gefürchteter Piratenkapitän.
»Jetzt muss ich nur noch meine Zähne anspitzen, damit ich furchteinflößend wirke.« Er öffnete den schweren Deckel der großen Holztruhe neben sich und wühlte in den Dingen herum, die er bei seinen Kaperfahrten gesammelt hatte. »Wo ist denn der Anspitzer geblieben? Den hatte ich doch heute Morgen noch, als ich das Blumenbild gemalt habe.«
Knorf sah sich erschrocken um. Hoffentlich hatte ihn niemand gehört. Ein gefürchteter Pirat sollte auf keinen Fall Blumen malen. Er wühlte weiter. Der Anspitzer kam nicht zum Vorschein, dafür aber eine alte, vergilbte Papierrolle, um die ein Lederband gebunden war.
»Was ist denn das? Wo kommt das her? Das habe ich noch nie gesehen.« Knorf löste den Knoten im Band und entrollte das Papier. »Nein! Das glaube ich jetzt nicht.« Er hielt die Luft an, lief zum Fenster und besah sich seinen Fund im Licht der Sonne genauer. »Das ist die Schatzkarte von Urgroßvater Strunkel, dem Roten. Die gilt seit hundert Jahren als verschollen.«
Ein breites Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Piratenkapitäns. »Die Karte führt direkt zum Schatz.« Er fuhr mit einem Finger eine gestrichelte Linie von der Küste zu einem Kreuz entlang. »Ich muss nur dem Weg folgen und den Schatz ausgraben. Ich werde steinreich.«
Knorf rollte die Karte wieder ein und ging zur Tür. »Es wird Zeit, in See zu stechen.« Er verließ seine Kajüte, lief zum nahen Ufer und sprang in sein kleines Ruderboot. »Hm. Wo muss ich jetzt hin? Wo ist denn überhaupt diese Insel?« Knorf seufzte. Sein Urgroßvater hatte die wichtigste Information wohl mit ins Grab genommen.
Knorf schüttelte den Kopf. »Ich werde wohl doch kein reicher Pirat.« Statt enttäuscht zu sein, griff nach den beiden Rudern und fuhr auf seinem kleinen See, der nur fünf Meter durchmaßt, einmal im Kreis. »Von hier aus wäre ich eh nie bis zum Meer gekommen. Eine Insel gibt es hier auch nicht.« Vom See aus führte nämlich kein Bach oder Fluss fort. Knorf lachte und genoss seine kleine Rundfahrt.
(c) 2022, Marco Wittler
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