Es geht wieder in die Schule
Es war eine dunkle Nacht. Dicke Wolken hielten jeden noch so kleinen Lichtstrahl von Mond und Sternen über sich gefangen. Dichter Nebel hing über dem Boden und machte es noch schwerer, die Hand vor den Augen erkennen zu können. Geräusche waren kaum zu hören. Grillen schienen zu ahnen, was diese späte Stunde zu bedeuten hatte. Sie blieben still und zogen sich in sichere Verstecke zurück.
Beinahe unbemerkt bewegte sich ein weißes Wölkchen über die Stadt hinweg, die schwach leuchtete. Während die Ereignis an den Menschen völlig vorbei ging, sah ihm ein unbeeindruckter Waldkauz nur kurz hinterher. Über einem verlassenen Friedhof hielt sie inne, als würde sie nicht wissen wohin, als würde sie etwas suchen. Nach einer gefühlten Ewigkeit fiel ein Stück von ihr ab, begang zu glitzern und verwandelte sich auf dem Weg nach unten in einen Briefumschlag. Er blieb auf einem Grab liegen.
Die Erde unter dem Umschlag begann zu zittern. Ein Stück Stoff bahnte sich den Weg in die Freiheit, ein Geist lugte unsicher hervor. »Post?« Er öffnete den Brief und las die wenigen Zeilen, die dort geschrieben standen. Es war die Einladung in die Geisterschule.
Der Geist kratzte sich am Kopf. »Geisterschule? Ich bin doch nicht Harry Potter.« Und trotzdem wusste er genau, dass er dort gut aufgehoben sein würde. Er war ein ganz junger Geist, sich seiner selbst erst vor wenigen Augenblicken bewusst geworden. Er hatte sicher noch viel zu lernen.
Er blickte sich um und entdeckte die leuchtende Wolke über sich, die sich nun auch in einen Geist verwandelte. »Wow! Wie machst du das?«
Der alte Geist lächelte und streckte die Hand aus. »Folge mir zur Geisterschule und du wirst es lernen.«
Der kleine Geist kam nun gänzlich aus dem Boden hervor und schwebte hinauf. Kurz machte er Halt, sah noch einmal zurück. »Muss ich meinen Grabstein mitnehmen? Muss ich mich ausweisen?«
Der alte Geist lachte und schüttelte den Kopf. »Nein bestimmt nicht.« Gemeinsam flogen sie einem fernen Ziel entgegen und ließen den Friedhof schnell hinter sich.
Es ging hinweg über Täler und Berge, über Wälder und Felder. Die Geister ließen Städte und Dörfer weit hinter sich und überquerten Grenze um Grenze, bis sie vor einer alten Burgruine landeten. Mittlerweile ging langsam die Sonne am Horizont auf und sendete erste Sonnenstrahlen über das Land.
»Wir suchen uns nun eine alte Gruft, in die wir uns für das erste Schuljahr zurückziehen werden. Es wird Zeit, dir beizubringen, wie man ordentlich spukt.«
Sie durchdrangen die alten, verfallenen Mauern, entdeckten einen lang vergessenen Kerker, dessen Eingang schon vor Jahrhunderten verschüttet wurden. Während sich der alte Geist an einem Pult niederließ, saßen ihm ein gutes Dutzend junger Geister gegenüber.
»Kommen wir zur ersten Lektion. Sie lautet: ‚Wie erschrecke ich einen Menschen – Heulen und Zähneklappern ohne Gebiss.‘«
Der Geisterlehrer holte tief Luft, sah durch die Sitzreihen und gab ein kurzes Buh von sich. Die Geisterschüler waren unglaublich beeindruckt. Sie ließen diesen Moment kurz auf sich einwirken, bevor sie laut jubelten.
Der alte Geist grinste, stoppte dann aber seine Schüler. »Es heißt nicht Juhuu, sondern Buh. Bitte wiederholt das.«
Schon gingen laute, Angst einflößende Buhrufe durch den Raum, die man bis in das nahe Dorf hören konnte und die Bewohner in Panik versetzten. Von diesem Tag an traute sich kein Sterblicher mehr in die alte Burgruine.
(c) 2022, Marco Wittler
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