1361. Kleiner Käfer auf großer Reise

Kleiner Käfer auf großer Reise

Konrad hatte sich viel vorgenommen. Er hatte ein ganzes Wochenende frei und wollte ein wenig von der Welt sehen. Er hatte bereits seinen kleinen Rucksack mit Proviant gepackt, seine Schuhe blitzblank geputzt und auch die schwarzen Punkte auf seinem roten Panzer waren auf Hochglanz poliert. Als kleiner Marienkäfer, so wusste er, würde er wohl nicht einmal den Rand des Waldes erreichen, in dem er lebte. Trotzdem wollte er sich auf den Weg machen.
Konrad öffnete die Tür seines kleines Hauses, das sich im Schatten eines Baumes befand, breitete seine Flügel aus und flog los. Es ging vorbei an dicken Baumstämmen, durch grüne Büsche hindurch und über plätschernde Bäche hinweg. Der Käfer pfiff dabei die ganze Zeit ein fröhliches Lied, das noch in großer Entfernung von vielen anderen Tieren gehört wurde. Manch einen griesgrämigen Gesellen ärgerte das, weil da irgendwer durch den Wald flog und gute Laune hatte.
Konrad kam viel schneller voran, als er es gedacht hatte. Schon seit einer ganzen Weile konnte er sein Haus nicht mehr sehen. Er hoffte, dass er sich auf dem Rückweg zurück finden würde. Doch das sollte ihn erst in zwei Tagen wieder beschäftigen.
Während er immer weiter durch den Wald flog, sah er irgendwann hinter den Bäumen mehr Licht, als er es gewohnt war. Kurz darauf befand er sich über einer weiten Wiese.
»Das ist ja der Wahnsinn!«, rief er vor Freude. »Hier schaut alles so anders aus. Ich wusste gar nicht, dass die Welt so vielfältig sein kann. Ich wünschte, ich könnte noch schneller sein, um noch mehr zu sehen.«
Das Feld endete an einem breiten, grauen, nackten Streifen. Konrad stoppte und sah verwirrt nach links und rechts. Hier gab es weder Pflanzen, noch Bäche oder sonst etwas, das nach Leben aussah. Konnte er hier gefahrlos weiter fliegen?
»Was ist denn das?« Von einer Seite näherte sich ein großes, rotes Etwas. »Oh, da kommt jemand. Ich sollte fragen, ob es hier sicher ist und es hinter dem Streifen weiter geht.«
Vorsichtig wagte sich Konrad vorwärts und wurde vom den dem großen Ding erfasst. Das Letzte, was er sah, waren zwei große Buchstaben in einem Kreis: VW. Dann riss ihn das Ding mit sich.
»Wie krass ist das denn?« Konrad konnte sich kaum festhalten, so schnell war das Ding unterwegs. »Jetzt kann ich noch viel mehr von der Welt sehen. Das macht ja irre Spaß.«
Er rutschte ein Stück weiter über eine glatte Glasscheibe, wurde über einen Metallstreifen geschleudert und landete im Innern des roten Dings. Konrad landete auf einem weichen Leder. Der starke Wind hörte abrupt auf.
»Hey, Kleiner.«, hörte er die Stimme einer Menschenfrau. »Das ist ja ein toller Zufall. Jetzt sitzt ein kleiner Marienkäfer in meinem süßen VW Käfer. Hast du Lust, mit mir die Welt zu erkunden?«
Konrad nickte begeistert. »Nichts lieber als das. Gib Gas, Lady.« Er drehte sich ein letztes Mal zum Wald um und lachte vergnügt. »Ich glaube, in der weiten Welt fühle ich mich bestimmt wohler, als in meinem kleinen Heim im Wald.«

(c) 2022, Marco Wittler

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