Die rasende Badewanne
Ein langer, anstrengender Tag war endlich zu Ende gegangen Nach quälend langen Schulstunden, dem Schachclub, der Astronomie AG und dem Computerkurs, war Lina endlich Zuhause angekommen. Entsprechend fertig war sie jetzt. Während sie warmes Wasser zum Entspannen in die Badewanne ließ, über legte sie bereits, ob sie ihren viel zu vollen Terminkalender aufräumen und ein paar nicht ganz so geliebte Hobbys aufgeben sollte.
Nach zwanzig Minuten war es endlich so weit. Lina legte sich in die Wanne und genoss den Anblick der hohen Schaumberge, die sich wie riesige Eisberge um sie herum auftürmten und bei jeder Bewegung ihrer Finger und Füße zu schaukeln begannen.
Lina gähnte laut. Hätte sie jetzt schon im Bett gelegen, wäre sie bestimmt schon eingeschlafen. Es gelang ihr nur mit Mühe, die Augen offen zu halten.
»Wenn ich jetzt hier einschlafe, könnte ich ertrinken. Ich darf nicht zu lange in der Wanne bleiben.«
Wieder fielen ihr die Augen zu. Erst ein lautes Krachen und Rumpeln rissen sie aus dem beginnenden Schlaf. Lina sah sich erschrocken um. Vor ihr fielen die Fliesen von der Wand, in der gerade ein riesiger Riss entstand. Die Badewanne erzitterte.
»Was passiert denn hier? Was soll das?«
Lina griff an den Wannenrand, wollte sich aus dem Wasser stemmen, als die Wand endgültig in sich zusammenfiel und die Mauersteine in einen endlos langen Tunnel dahinter gerissen wurden. Die Badewanne setzte sich in Bewegung und raste in das Loch hinein.
Lina begann zu schreien und krampfte sich am Rand fest. Die wilde Fahrt ging hin und her, rauf und runter. Das Wasser schwappte immer wieder über. Es war, als fahre die Badewanne über eine riesige Achterbahn, die sich mitten im Nirgendwo befand, denn es waren weder die Raumdecke, noch ein Boden oder Wände zu erkennen.
»Ich will das nicht! Ich will hier raus!«
Licht flammte auf. Lina befand sich in irrer Fahrt auf einer langen Rampe in einem Tunnel. Sie schossen auf ein dunkles Ende zu, das schnell näher kam. Die Schiene unter der Wanne endete. Es ging hinaus in die Unendlichkeit.
Es dauerte einen paar Sekunden, bis sich Linas Augen nach dem hell erleuchteten Tunnel wieder an die Dunkelheit gewöhnten. Nach und nach tauchten kleine Leuchtpunkte und viele bunte Farben auf. Wie mit einem Raumschiff flog sie durch das All, vorbei an Sternen und Galaxien, die nie ein menschliches Auge zuvor gesehen hatte.
Lina hielt die Luft an. Sie wusste, dass man im Weltall nicht atmen konnte und sehr schnell ersticken würde. Lange hielt sie es aber nicht durch. Nach einigen Sekunden öffnete sie den Mund und atmete panisch ein.
»Hier ist Luft. Aber wie kann das sein?«
Sie vermutete, wie man es aus Science Fiction Filmen kannte, dass sie von einem schützenden Energieschirm umgeben war. Langsam verschwand die Angst und wich grenzenloser Faszination.
Und dann wurde es von einem zum anderen Augenblick wieder dunkel. Die Fahrt endete und Lina schreckte hoch. Noch immer lag sie in der Wanne, die sich aber wieder im Badezimmer befand. Die Wand vor ihr war völlig unversehrt. Da war kein Loch, kein Riss und die Fliesen waren auch dort, wo sie hingehörten.
»Ich muss eingeschlafen sein. Anders kann ich mir nicht erklären, wie ich es ins Weltall geschafft haben soll. Es war nur ein Traum.«
Müde stieg Lina aus der Wanne, trocknete sich ab und wickelte sich in ein großes Handtuch.
»Schade eigentlich. Ich wünschte, ich könnte noch einmal so einen verrückten Ausflug erleben.«
Während sie noch darüber nachdachte, erblickte sie einen kleinen Münzschlitz unterhalb des Badewannenrandes. Daneben war ein Schild. »Fantastischer Weltraumflug. 2€ Einwurf pro Fahrt«
Lina bekam große Augen. War das Ding etwa schon immer da gewesen? Träumte sie etwa noch? Was auch immer. Für ihr nächstes Vollbad nahm sie sich vor, mit einer Hand voll Münzen gut vorbereitet zu sein.
(c) 2022, Marco Wittler
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