Papa kauft Baumschmuck
Auf dem Kalender stand in großen Buchstaben HEILIGABEND geschrieben. Wie jedes Jahr, war das Weihnachtsfest auch dieses Mal ganz plötzlich und unerwartet gekommen. Wie in jedem Jahr war Papa nun in der Stadt und suchte verzweifelt nach der passenden Dekoration für den Weihnachtsbaum.
»Die Kugeln habe ich gerade im Keller gefunden.« Papas große Tochter Paula hatte ihr Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und telefonierte mit ihm, während sie zurück in die Wohnung ging. »Die Strohsterne sind im selben Karton. Jetzt brauchen wir nur noch eine neue Lichterkette, weil es die alte nicht mehr tut. Und vergiss auf keinen Fall die Nüsse und die Äpfel. Ohne wird es kein richtiges Weihnachten. Die gehören einfach dazu.«
Papa nickte bei jeder Anweisung und versuchte, sich alles auf einen kleinen Notizzettel zu schreiben. Dabei wäre ihm mehr als einmal beinahe das Handy auf den Boden gefallen. »Alles notiert. Bringe ich alles mit. Wenn ich in zwei Stunden nicht zurück bin, musst du unbedingt einen Suchtrupp losschicken. Ich bin dann nämlich von der Menschenmasse in der Fußgängerzone überrollt worden. Ich frage mich, warum hier so viel los ist. Können die Leute nicht besser planen und ihren Kram etwas eher einkaufen?«
Ja, ist ja schon gut. Papa musste unweigerlich an sich selbst denken. Er war schließlich keinen Deut besser als all die anderen Menschen hier.
Die verging. Eine Stunde, zwei, drei. Nach vier Stunden stand Papa abgekämpft im Treppenhaus und zog erschöpft seine Schuhe aus.
»Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie anstrengend das war. Mir wurden ständig meine Einkäufe vor der Nase weggeschnappt. Eine Frau hat sogar meinen Einkaufswagen geplündert. Erst im sechsten Supermarkt wurde ich fertig.«
Papa stellte die vollen Taschen auf den Wohnzimmertisch. Während er seine Winterklamotten an die Garderobe hängte, packten Paula und ihre kleine Schwester Marie den Einkauf aus.
»Ähm, Papa, wo sind denn die Äpfel? Du hast die vergessen.«
Papa schüttelte den Kopf. »Nix da. Ich habe sie nicht vergessen. Es gab nur keine mehr. Alles ausverkauft. Die Leute waren echt verrückt. Es war, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich habe dafür aber eine Alternative mitgebracht.« Papa griff in eine der Taschen und holte einen Strauß Bananen hervor. »Die sind auch Obst. Die können wir doch an den Baum hängen.«
Paula seufzte und schüttelte den Kopf. »Oma hat nie Bananen an den Bau gehängt. Äpfel gehörten immer zu ihrer Tradition. Sie würde mit dir schimpfen, wenn sie noch da wäre.«
Paula und Marie hatten den Baum geschmückt. Die Bananen hatte Paula allerdings sträflich ignoriert und kein einziges Mal angerührt. Sie kamen einfach nicht in Frage. »So. Fertig. Ich hole jetzt noch das Verlängerungskabel für die Lichterkette aus dem Keller, dann kann Weihnachten beginnen. Es wird halt nur nicht mehr so schön. Die Äpfel fehlen halt.«
Mit saurer Miene verließ sie die Wohnung und kam ein paar Minuten später zurück. In der Zwischenzeit hatte Marie die Bananen an den Baum gehängt. Auf jedem Ende der Bananen saßen kleine Spielfiguren aus ihrem Kinderzimmer. »Ist das nicht toll? Sie können jetzt das ganze Weihnachtsfest über auf ihren Wippen sitzen. Für den Spielplatz ist es nämlich im Winter zu kalt.«
Paula wischte sich ein kleines Tränchen aus dem Auge. An so eine tolle Idee hatte sie gar nicht gedacht. Sie legte ihrer kleinen Schwester einen Arm über die Schulter. »Weißt du was? Manchmal muss man einfach mit alten Traditionen brechen und seine eigenen erschaffen. Wir sollten jedes Jahr Bananen an den Baum hängen und uns damit an die warme Jahreszeit erinnern, in der wir so gerne draußen sind.«
(c) 2022, Marco Wittler
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