1639. Die Bibliothek der Finsternis

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Bitte lies meine Geschichten einmal selbst, bevor du sie deinen Kindern vorliest. Sie sind zu Halloween etwas gruseliger, auch wenn sie lustig enden. Bitte bewerte vorher, ob dein Kind die Geschichten bereits versteht, damit umgehen kann und sich nicht zu sehr gruselt.

Die Bibliothek der Finsternis

Paul zitterte am ganzen Körper. Es war weniger die Angst, die die Kontrolle übernommen hatte, es war die Aufregung, diesen ganz besonderen Ort endlich gefunden zu haben.
»Ich halte es kaum noch aus. Ich bin so wahnsinnig gespannt, was uns hier alles erwartet.«
Er legte seine Hand auf die Klinke und drückte sie herunter. Die Tür war nicht verschlossen. Von einem Quietschen der Scharniere und einem Knarzen des alten Holzes begleitet, drückte er sie langsam auf.
»Ich weiß ja nicht.« Ben schluckte schwer. »Es war doch schon aufregend und spannend genug, die alte Karte und den Weg hierher zu finden. Wir müssen da nicht wirklich rein. Wer weiß, was da alles drin haust. Da könnten Ratten leben, Mäuse oder eklige Spinnen, die sich von der Decke auf unsere Köpfe herablassen.« Es schüttelte ihn.
»Das will ich nicht hoffen. Ich will hier was erleben.« In Pauls Augen leuchtete es. »Stell dir doch mal vor, dass wir auf Geister treffen, die seit Jahrhunderten hier gefangen ist. Vielleicht nennt ein Vampir den Keller sein eigen oder Zombies bekommen Appetit auf unsere Gehirne.« Er zuckte mit den Schultern. »Mit einem einfachen Monster wäre ich aber auch schon zufrieden.«
Er machte ein paar Schritte in die Eingangshalle und hinterließ dabei deutliche Spuren auf dem staubigen Boden. Ben folgte in einigem Abstand.
»Es geht bestimmt durch die große Doppeltür.« Paul öffnete sie und war von dem Anblick, der sich ihm bot, völlig überwältigt.
An den langen Wänden standen hohe Regale, die mehrere Meter bis zur Decke reichten. Hier mussten tausende, wenn nicht sogar zehntausende Bücher untergebracht sein.
»Wie lange muss man wohl leben, um sie alle lesen zu können?«
»Vermutlich eine Ewigkeit.«, flüsterte ihm eine unbekannte Stimme aus nächster Nähe ins Ohr, während die Doppeltür zuschlug, ein Schlüssel von Außen im Schloss gedreht wurde und sich Gitter von oben vor die Fenster schoben.
»Wir sind gefangen!« Ben bekam Panik. Er rannte mehrfach im Kreis, suchte nach einem Ausweg, während Paul einem Geist Auge in Auge gegenüber stand.
»Es dauert eine Ewigkeit, sie zu lesen. Doch nun habt ihr auch eine Ewigkeit dafür Zeit.« Der Geist lachte laut. »Ihr werdet die Bibliothek der Finsternis nie wieder verlassen. Eure Leben werden verwehen, eure Körper vergehen. Ihr werdet euch eines Tages unserer Geisterarmee anschließen und uns dabei helfen, uns in jeder Halloweennacht zu vergrößern.«
Nein. Auf keinen Fall. Das hatte sich Paul ganz anders vorgestellt. Er musste einen Ausweg finden, einen Trick, irgendwas. In Gruselfilmen gab es für die Menschen immer eine Möglichkeit, dem Tod zu entkommen.
»Aber du bist nicht in einem Film, auch nicht in einer Geschichte. Das hier ist die Realität.«
Der Geist hatte die Gedanken des Jungen gehört. »Ihr werdet für immer bei uns bleiben.« Er unterbrach sich und grinste breit. »Es sei denn, ihr findet etwas, womit ihr den ganzen Spuk hier beenden könnt.« Er machte eine weitere Pause, kam noch ein Stück näher. »Warum ich dir das erzähle? Nun, ich bin mir felsenfest sicher, dass ihr niemals darauf kommen werdet. Ihr bleibt bis zum Ende der Ewigkeit bei uns.«
Paul ließ den Kopf sinken, schüttelte ihn langsam und seufzte. Als er wieder aufblickte, blitzte es in seinen Augen und er lächelte, was den Geist völlig überraschte. Er schreckte zurück, fing sich aber sofort wieder.
»Nein, nein, nein. Du hast keine Idee. Vergiss das gleich wieder. Du bleibst hier.«
Paul achtete nicht mehr darauf. Er ging los. Es waren nur wenige Schritte bis zur Doppeltür. Siegessicher legte er seine Hand auf den Schalter neben dem Rahmen und schaltete den großen Kronleuchter, der von der Decke herabhing, ein.
Es wurde hell. Die geisterhafte Erscheinung verblasste und verschwand.
»Ich hab mir das hier schon ein wenig schwieriger vorgestellt. Das war viel zu einfach. Können wir nicht noch ein paar Veränderungen vornehmen?«
Die Tür wurde aufgesperrt. Sein Vater trat ein. »Warum drückst du denn auch den Lichtschalter? Es ist jetzt viel zu hell für das Hologramm. Du hast einfach die Technik ausgetrickst.«
Paul nickte. »Dann schalt einfach die Sicherung für den Kronleuchter aus. Der Escape-Room soll unseren Gästen Spaß machen, für Spannung und Nervenkitzel sorgen. Wenn sie nach drei Minuten fertig sind, wird das bestimmt kein Erfolg.«
Sein Vater nickte. »In Ordnung. Dann alles auf Anfang. Testen wir den Rest.«

(c) 2024, Marco Wittler

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