TRIGGER WARNUNG / CONTENT NOTE:
Bitte lies meine Geschichten einmal selbst, bevor du sie deinen Kindern vorliest. Sie sind zu Halloween etwas gruseliger, auch wenn sie lustig enden. Bitte bewerte vorher, ob dein Kind die Geschichten bereits versteht, damit umgehen kann und sich nicht zu sehr gruselt.
Die kleine Hexe mit der dicken Brille sucht ihren Zauberstab
Die kleine Hexe tastete sich unsicher durch ihre Küche. Sie suchte auf dem Tisch, in den Regalen und rund um ihren Kupferkessel. »Verdammt! Er muss doch irgendwo sein.«
Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen, hoffte dadurch etwas besser sehen zu können. Mit etwas Fantasie konnte sie auf der anderen Seite ihrer Fenster die Bäume des Waldes erkennen. Es schien niemand da zu sein.
Sie seufzte und griff schweren Herzens in die Tasche ihres Mantels. Sie holte ihre Brille mit den dicken Gläsern heraus und schaute sich noch ein letztes Mal um, bevor sie sie auf ihre Nase setzte. Jetzt konnte sie endlich klar und deutlich sehen.
»Also gut, wo hast du dich versteckt? Wo ist mein Zauberstab?«
Ihr wichtigstes Werkzeug war nirgendwo zu sehen. Wo hatte sie ihn nur zuletzt benutzt und dann verlegt?
»Oh, oh.« Sie hatte eine Vermutung, die ihr gar nicht gefiel. Sie hatte ihn beim Sammeln von Kräutern im dunklen Wald benutzt, als sich eine Wurzel mit Händen und Füßen gewehrt hatte, aus dem Boden gezogen zu werden.
»Ich brauche ihn ganz dringend, aber habe Angst, jetzt nach draußen zu gehen.«
Die Sonne war gerade hinter dem Horizont verschwunden und der Himmel wurde langsam dunkel. Normalerweise hatte die kleine Hexe keine Angst, doch heute Nacht würden sich die Toten aus ihren Gräbern erheben und sich die Wesen der Finsternis und Unterwelt im Wald umhertreiben.
»Ich hasse Halloween. Hinter jedem Busch und jedem Baum lauern Gefahren. Am liebsten würde ich mich einfach unter meiner Bettdecke verkriechen und nicht vor Morgen in der Früh wieder aufstehen. Aber dann kann ich mir meinen leckeren Kräutertee nicht kochen. Ich brauche meinen Zauberstab, um das Feuer unter meinem Kupferkessel zu entzünden.«
Nun ärgerte sie sich ein weiteres Mal. Hätte sie beim Einkaufen nur nicht die Streichhölzer vergessen.
Es nutzte alles nichts. Sie musste raus in den Wald und sich auf die Suche machen.
Die kleine Hexe knöpfte sich ihren Mantel zu, zog sich den großen Hut tiefer über das Gesicht und kontrollierte noch einmal ihre Schnürsenkel. Die Brille verstaute sie natürlich wieder in ihrer Tasche. Erst dann öffnete sie die Tür ihres Hexenhauses und trat ins Freie. Sofort blies ihr ein kräftiger, kalter Wind ins Gesicht und jagte ihr einen Schauer den Rücken herunter.
»Auf gehts. Ich hoffen, ich finde das blöde Ding.«
Die Hexe griff zu einem großen Stock, den sie zur Not zur Verteidigung gegen irgendwelche Monster benutzen konnte. Sie marschierte los und machte sich auf den Weg zur kleinen Lichtung, auf der sie regelmäßig ihre Kräuter sammelte.
Unruhig und ängstlich sah sie sich immer wieder um. Aus allen Richtungen waren Geräusche zu hören, die ihr Angst machten. Zweige knackten, Wind heulte und … waren da etwa Schritte?
Die kleine Hexe blieb stehen. Wer folgte ihr durch den immer dunkler werdenden Wald? Ohne ihre Brille konnte sie niemanden erkennen, wollte damit aber auch nicht gesehen werden.
Plötzlich sprang ein großes, Monster mit zottigem, grünen Fell aus einer Baumkrone herab und blieb direkt vor ihr stehen. Selbst ohne Brille konnte sie die langen, scharfen Eckzähne aufblitzen sehen.
Hinter einem Busch kam ein blasser Mann in einem schwarzen Mantel hervor. Er war ebenfalls in der Lage, sich in einem Hals zu verbeißen. Ein Vampir.
Zu diesen beiden Geschöpfen gesellten sich ein Werwolf, ein Zombie und ein Geist, durch den man hindurch schauen konnte.
Die kleine Hexe hob ihren Stock und hielt ihn quer vor die Brust. »Ich kann Selbstverteidigung. Wer mich angreift, ist selbst schuld. Ich werde keine Rücksicht nehmen.«
Die dunklen Wesen wichen sofort ein paar Schritte zurück und hoben abwehrend die Hände.
»Wir wollen dich überhaupt nicht überfallen.«, sagte der Vampir mit zitternder Stimme. »Warum denken eigentlich immer alle von uns, dass wir böse und gefährlich sind? Wir haben einfach nur gesehen, dass du auf der Suche nach etwas bist und möchten dir dabei helfen. Immerhin sind wir Nachbarn.«
Die kleine Hexe legte den Kopf schief und die Stirn in Falten. Sie überlegte. »In Ordnung. Aber ihr geht bitte vor mir her, damit ich euch im Auge behalten kann.«
Die anderen nickten, eilten an ihr vorbei und behielten ihren Blick auf den Boden gerichtet. »Was suchen wir eigentlich?«
»Meinen Zauberstab. Aber den fast niemand an. Er hat eine Diebstahlsicherung. Wer ihn berührt, bekommt einen Blitzschlag.«
Natürlich entsprach das nicht der Wahrheit. Aber sie wollte verhindern, dass jemand einen Zauber gegen sie beschwören konnte.
Mit jedem Meter, den sie vorwärts kamen, wurden die Helfer langsamer. Irgendwann blieben sie sogar stehen und sahen die Hexe verschämt an. »Wir haben da ein Problem.«, versuchte der Vampir zu erklären. »Wir können alle nicht besonders gut sehen.« Sie holten nacheinander ihre Brillen aus ihren Taschen. »Du verrätst aber niemand davon, hast du verstanden?«
Die Hexe grinste, zog nun ebenfalls ihre Brille hervor und setzte sie sich auf ihre Nase. »Ich bin so blind wie ein Maulwurf und habe das auch niemals jemandem erzählt.«
Nun lachten sie alle gemeinsam und setzten schließlich ihre Suche fort. Schon nach wenigen Minuten fanden sie den Zauberstab.
»Endlich.«, war die Hexe glücklich. »Zum Dank lade ich euch alle auf einen Kräutertee in meinem kleinen, gemütlichen Hexenhaus ein.«
(c) 2024, Marco Wittler
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