1672. Der Anton und Herr Fritte gegen die Finsternis

Der Anton und Herr Fritte gegen die Finsternis

Im Kamin knisterte es, während sich das Feuer langsam durch die Holzscheite fraß. Die große Standuhr tickte dazu leise in einem regelmäßigen Takt. Ansonsten war es still in der Bibliothek der alten Villa. Lediglich das Umblättern von Buchseiten mischte sich hin und wieder dazu.
Es klopfte jemand an die Tür. Ohne auf eine Erlaubnis zu warten, trat ein kleiner, aber unübersehbar kräftiger Kater ein. Das knapp sitzende Muskelshirt und die Tätowierungen auf den Oberarmen verliehen ihm ein Aussehen, dass unbedingten Respekt verlangte. Mit einem vermeintlichen Schläger wollte sich niemand anlegen.
Mit Leichtigkeit brachte er einen großen Pappkarton herein, der bereits jetzt schon bis zur Hälfte gefüllt war.
»Da bist du ja, mein lieber Anton.« Herr Fritte hatte seinen Assistenten mit einem Blick über sein Buch erfasst, legte dieses auf den Tisch neben sich und zog sich seine bunte Fliege zurecht, die er Tag und Nacht um den Hals trug. »Stimmt etwas nicht mit dir? Ich vermisse die Fröhlichkeit, die sonst aus deinen Augen strahlt. Bist du traurig?«
Anton seufzte laut und stellte den Karton auf den Boden. »Es ist … also ich …« Er seufzte ein weiteres Mal und rang um die richtigen Worte, was ihm deutlich schwer fiel.
»Sir, ich glaube Anton fällt diese Jahreszeit besonders schwer.«, mischte sich nun Herr Frittes Privatsekretär ein, der bis jetzt still und wortlos vor dem Kamin gesessen hatte. Mr. Little, der das genaue Gegenteil von Anton war, nämlich klein und schmächtig, griff nun zu seinen Krücken und mühte sich aus dem weichen Ohrensessel auf. Schritt für Schritt näherte er sich den anderen. »Ich finde es auch nicht schön, wenn die Weihnachtszeit vorbei ist und die schöne, bunte Dekoration abgeräumt wird. Dann wirkt das Haus für eine ganze Weile kalt und leer. Erst mit dem Frühling, wenn es wieder blühende Blumen gibt, ändert sich das.«
Anton sah ihn nur an, hörte zu und verdrehte schließlich die Augen. Er seufzte ein drittes Mal und tat es noch einmal lauter. »Ob die Dekorationen hier stehen, ist mir eigentlich egal. Sieht schön aus, aber ist auch nicht schlimm, wenn sie nicht mehr da ist. Die eigentliche Katastrophe ist aber eine andere. Ich muss meinen Lieblingskarton abgeben, in dem ich die letzten Wochen geschlafen habe. Das schmerzt ganz tief in meinem Herzen.« Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Ach, mein lieber Anton.« Herr Fritte verkniff sich ein breites Grinsen. Ein leichtes Lächeln konnte er sich dennoch nicht verkneifen. »Ich habe da eine Idee. Schau doch mal dort hinten in der Kammer. Vielleicht kann ich deine Trauer zerstreuen.«
Das ließ sich Anton kein zweites Mal sagen. Er durchquerte den Raum, öffnete die Tür und sah sich einem großen Stapel Pappkartons gegenüber.
»Such dir einen für die Dekorationen aus, dann kannst du deinen Pappkarton behalten.«
Antons Augen waren groß geworden. Er grinste. »Sie sind ein Schelm, Herr Fritte, wissen sie das?«
Nach und nach räumte Anton die kleinen bunten Figuren, Lichter, Weihnachtkatzen und Tannengrün in einen anderen Pappkarton, während die Fensterbänke und Regale immer leerer wurden.
»Es ist schon irgendwie traurig.«, sinnierte Herr Fritte. Die dunkle Jahreszeit hat gerade erst begonnen. Trotzdem verräumen wir jetzt schon die warmen Lichter, die uns eigentlich bis zum kommenden Frühling vertrösten sollten. Das ist schon irgendwie traurig, findet ihr nicht?«
Sie seufzten zu dritt und starrten eine Weile in die Dunkelheit auf der anderen Seite des Fenster, die nun mit aller Macht auf das Gemüt drückte.
»Ich glaube, ich habe eine Idee.« Mr. Little dachte noch einmal kurz nach, überlegte, ob sein Plan Sinn machte und nickte schließlich. »Ich bin gleich wieder da.«
Der kleine Kater ging zum Bücherregal, das seinem Sessel am nächsten war. Er drückte auf das Buch mit dem Titel DER GESTIEFELTE KATER und trat einen Schritt zurück. Das Regal schwang auf und gab den Weg zu einem geheimen Aufzug frei. Mr. Little bestieg ihn und fuhr in den Keller hinab.
»Jetzt bin ich wirklich gespannt, was für eine Idee unser kleiner Freund von da unten mitbringt. Ich bin mir nämlich gar nicht sicher, ob es Winterbeleuchtung gibt, die nichts mit Weihnachten zu tun hat.«
Es vergingen ein paar Minuten, bis der Aufzug zurück in der Bibliothek war. Der kleine Kater trat aus der Kabine, gefolgt von einem Schwarm kleiner Insekten.
Herr Fritte lachte, als ihm bewusst wurde, wer da gerade den Raum betrat. Es waren die Glühwürmchen, denen er im Keller seiner Villa Schutz und Unterschlupf vor der Kälte des Winters gewährt hatte.
Nach und nach verteilten sie sich im Raum, setzten sich auf Regale und stellten sich vor die Fenster. Wie auf ein unausgesprochenes Kommando holten sie winzige Laternen hinter ihren Rücken hervor und entzündeten ihre Lichter.
»Wow.«, war das einzige, das Anton begeistert hervorbrachte, während sich die Laternen in seinen großen, goldenen Augen widerspiegelten.
»Das, mein lieber Mr. Little, ist die beste Idee, die sie jemals hatten. Jetzt schaut es noch viel schöner aus, als zur Weihnachtszeit.«
Und so blieben die Glühwürmchen bis zum Beginn des Frühlings auf ihren Plätzen und spendeten Licht in den dunklen Stunden, bis es für sie Zeit wurde, in die Natur zurückzukehren.

(c) 2025ä Marco Wittler

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