211. Von Piraten entführt

Von Piraten entführt

Dimitri saß in seiner Kajüte und freute sich. Noch vor ein paar Stunden war er kein richtiger Drache mehr gewesen. Er hatte Wasser getrunken und sein Drachenfeuer gelöscht. Erst nach einer langen Fahrt nach Feuerland, hatte er es wieder entflammen können. Nun war er wieder auf dem Weg nach Hause.
»Meine Freunde werden mir das alles nicht glauben, wenn ich ihnen davon erzählte.«, redete er vor sich hin.
»Welcher kleine Drache fährt schon allein mit einem Schiff voller menschlicher Seemänner zur Insel, von der wir alle stammen?«
Sie würden große Augen machen, dachte er sich. Sein Erlebnis war ja auch sehr beeindruckend gewesen.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und der Kapitän kam herein.
»Es ist etwas Schreckliches geschehen. Piraten greifen uns an. Bleib hier und lass niemanden herein, bis sich die Lage wieder beruhigt hat.«
»Piraten?«, ging es Dimitri durch den Kopf.
»Aber was wollen die denn von uns?«

Inzwischen wurde es an Deck hektisch. Die Seeleute rissen die Segel hin und her, der Steuermann fuhr im Zickzack und versuchte, das Piratenschiff abzuschütteln. Es gelang ihm aber nicht. Mit jeder Minute kamen die Banditen des Meeres näher heran.
Aus einer weiteren Kajüte kam nun ein wütender Drache hervor gestürmt. Es war Dimitris Mutter. Sie wollte unbedingt ihren Sohn und das Menschenschiff beschützen.
Sofort begann der Pirat im Ausguck zu schreien.
»Ein Drache. Sie haben einen Drachen an Bord.«
Der Piratenkapitän holte sein Fernrohr aus der Tasche und sah sich.
»Tatsächlich. Schau an, was wir da gefunden haben. Dann waren die Gerüchte in den Spelunken doch nicht erfunden.«
Er drehte sich zu seiner Mannschaft um und bellte ein paar Befehle.
»Macht euch bereit zum Entern. Was mit der Mannschaft geschieht, ist mir egal. Aber krümmt dem Drachen keine Schuppe. Ich will ihn unversehrt. Wir haben das lange genug geübt.«
Schon rummste es. Die beiden Schiffe berührten sich. Die Piraten banden sie mit Seilen zusammen und sprangen mit ihren Säbeln, Schwertern und Pistolen an Bord.
Die Seeleute hatten keine Waffen, um sich zu verteidigen. Also gingen sie den Banditen aus dem Weg. Der Drache würde es schon richten. Und so geschah es auch.
Dimitris Mutter ging mit festem Schritt auf die Banditen los.
»Was wagt ihr euch? Glaubt ihr ernsthaft, dass ihr uns überfallen könnt und ungestraft davon kommt? Mit meinem Feuer werde ich euch wieder vertreiben.«
Sie riss ihr Maul auf und spuckte eine große Flamme aus. Dch die Piraten waren darauf vorbereitet. Hinter ihren Rücken holten sie metallene Schilde hervor, hinter denen sie sich versteckten. Schritt für Schritt kamen sie näher, bis einer von ihnen mit einem Schlauch eine große Menge Wasser auf den Drachen spritzte und das Feuer löschte.
Dimitris Mutter war wehrlos. Die Piraten stürzten sich auf sie und fesselten ihre Füße. Nur Minuten später hatten sie den Drachen auf ihr Schiff gebracht und im Laderaum verstaut.
»Und das ihr nicht auf die Idee kommt uns zu folgen. Es würde euch nicht gut ergehen.«, rief der Piratenkapitän, als er einen neuen Kurs einschlug. Mit lautem Lachen steuerte er sein Schiff in eine Nebelbank und verschwand.

Die Tür öffnete sich und der Kapitän kam herein.
»Dimitri, es ist etwas Schreckliches geschehen. Piraten haben deine Mutter entführt.«
Der kleine Drache war wie elektrisiert. Wie konnten es diese Übeltäter wagen? Einen Drachen durfte man nicht entführen. Das würde auf keinen Fall ungestraft bleiben.
Er stürmte sofort an Deck.
»Wir müssen ihnen folgen.«, bat er die Seeleute.
Doch diese hatten viel zu viel Angst.
»Wir dürfen den Piraten nicht folgen. Wenn sie uns sehen, werden sie mit ihren Kanonen auf uns schießen und unser Schiff versenken. Wir haben einfach keine Chance.«
Doch damit wollte sich Dimitri nicht zufrieden geben. Er sprang in eines der Rettungsboote, brannte mit seiner Flamme die Befestigungsseile durch und plumpste auf das Meer.
»Ich werde ihnen folgen.«
Nur wenige Augenblicke später verschwand auch er im dichten Nebel.
»Wenn das nur gut ausgeht.«, flüsterte der Kapitän ängstlich.

Wie orientiert man sich eigentlich im Nebel?
Die Piraten fuhren ihre Strecke aus reiner Gewohnheit. Sie kannten die Gewässer besser als ihre Westentasche. Niemand würde ihnen folgen können.
Bis auf einen kleinen Drachen. Dimitri ruderte ihnen nach. Seine feine Nase lenkte ihn auf den richtigen Weg. Er konnte genau riechen, in welcher Richtung seine Mutter sich befand. Mit jedem Ruderschlag kam er dem Piratenschiff näher.
Schon eine Stunde später sah er es vor sich.
»Ich bin mal gespannt, wie überrascht eure Gesichter aussehen werden, wenn ihr mich entdeckt.«
Der kleine Drache fuhr einmal um die Banditen herum, bis er eine Stelle im Schiffsrumpf entdeckte, hinter der es still war. Leise brannte er ein Loch in das Holz und schlüpfte anschließend in das Schiff.
Wie durch einen Zufall war er in einem Laderaum gelandet. Vor sich sah er den gefährlichen Wasserschlauch, der Drachenfeuer löschen konnte. Ohne lange darüber nachzudenken, warf er ihn über Bord und zerstörte jeden Eimer, den er finden konnte.
»Wenn ihr nichts zu löschen habt, werdet ihr mich auch nicht besiegen können.«
Er kam unbemerkt durch das Schiff. Niemand sah oder hörte ihn. Erst, als er an Deck kam und es für die Piraten zu spät war, entdeckten sie ihn.
»Kapitän, es ist noch ein Drache an Bord, und er läuft frei herum.«
Die Piraten bekamen Angst. Sie hatten ihre Feuerschilde im Innern des Schiffes verstaut und kamen nun nicht an sie heran. Dimitri kam das nur gelegen. Er spuckte wie wild sein Feuer in jede Richtung. Dabei lief er langsam auf den Piratenkapitän zu.
»Lass meine Mutter frei, dann wird euch nichts geschehen. Ansonsten versenke ich noch heute euer Schiff.«
Die Banditen wollten sich aber nicht darauf einlassen. Schließlich konnten sie mit einem Drachen an Bord jedes andere Schiff besiegen.
»Also gut.«, sagte der kleine Drache genervt.
»Ihr habt es ja nicht anders gewollt.«
Plötzlich stürmte er über das Deck, vertrieb einen Banditen nach dem anderen und packte den Piratenkapitän am Arm. Mit einem kleinen Hüsteln machte er diesem nun Feuer unter dem Hintern.
»Um Himmels Willen. Ich werde machen, was du mit befiehlst, aber bitte lass mich leben.«
Dimitri lachte leise in sich hinein. Er hätte niemals einem Menschen etwas antun können.
»Dann lass nun meine Mutter frei. Anschließend wirst du mit deinen Männern dieses Schiff verlassen.«, sagte er mit ernster Stimme.
Der Piratenkapitän nickte stumm. Zitternd ging er auf seine Männer zu und wies sie an, in die Rettungsboote zu steigen. Anschließend öffnete er den Laderaum, ließ die Gefangene frei und verschwand dann auch von Bord.
»Mein geliebter Dimitri.«, sprach die Drachenmutter.
»Du hast mich wirklich befreit. Du bist wirklich mutig gewesen, dich mit so vielen Piraten anzulegen.«
Dem kleinen Drachen wurde es warm ums Herz. War er etwa gerade zu einem Helden geworden?
Schnell stellte er sich hinter das Steuerrad des Schiffes, setzte sich den Hut des Kapitäns auf den Kopf und übernahm das Kommando.
»Wenn du nichts dagegen hast, werde ich uns nun nach Hause bringen.«
»Nichts lieber als das.«, freute sich seine Mutter. Ihre Freude war sogar so groß, dass sich augenblicklich ihr Feuer wieder entzündete.

(c) 2009, Marco Wittler

Der erste Teil dieser Geschichte befindet sich hier.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*