Eine richtige Freundin
Es war einmal eine junge Prinzessin in einem fernen Königreich, die jeden Tag gelangweilt an ihrem Fenster saß und den jungen Leuten des nahen Dorfes beim Spielen zusah. Sie seufzte von früh bis spät und lächelte nie.
»Was ist nur mit euch?« wurde sie immer wieder von ihrer Dienerin gefragt.
Die Antwort war stets die selbe. »Ich langweile mich hier im Schloss. Ich bin das einzige Kindes des Königs. Ich habe keine Geschwister und deswegen niemandem, mit dem ich mir die Zeit vertreiben kann. Wäre ich doch auch mal für einen Tag ein normales Mädchen dort unten im Dorf. Ich würde es genießen.«
Dann seufzte sie wieder und hing ihren Träumen nach.
»Was euch fehlt, ist eine richtig, echte Freundin.« erklärte die Zofe. »Eine, die mit euch durch dick und dünn geht, mit euch redet, wenn es etwas zu erzählen gibt oder einfach nur zuhört, wenn euch etwas auf dem Herzen liegt.«
»Aber wo soll ich denn so eine Freundin finden?« schluchzte die Prinzessin und war den Tränen nahe. »Da draußen gibt es viele Frauen, aber wie soll ich wissen, ob sie es ernst meinen oder mir einfach nur etwas vorspielen, um Zugang zum Schloss zu bekommen. Dann könnten sie schnell etwas aus der Schatzkammer stehlen.«
Aber auch hatte die Zofe bereits eine Idee. »Ladet Mädchen aus dem Dorf in den Schlossgarten ein. In einem fairen Wettbewerb sollen sie ihre Freundschaft unter Beweis stellen. Diejenige von ihnen, die gewinnt, soll eure Freundin werden.«
Das klang vernünftig.
»So soll es geschehen.« entschied die Prinzessin. »Ihr richtet den Wettbewerb aus und werdet dazu die Mädchen heimlich testen, ob sie wirklich treu sind. Ich werde die Spiele von meinem Balkon aus beobachten und mich auf meine zukünftige Freundin vorbereiten.«
Im Dorf wurde die Kunde verbreitet, dass die Tochter des Königs auf der Suche nach einer Freundin sei. Jede junge Frau wurde aufgerufen, an einem Freundschaftswettbewerb teilzunehmen.
Von diesem Tag an waren die jungen Frauen im Dorf völlig aus dem Häuschen. Sie putzten ihre Holzschuhe, wuschen und flickten ihre Kleider und machten sich gegenseitig die Haare. Jede von ihnen wollte gewinnen und an der Seite der Prinzessin im Schloss leben.
Der Tag des Wettstreits war gekommen. Sieben Bauerntöchter waren von der Zofe ausgewählt worden, sich gegenseitig in mehreren, schwierigen Aufgaben zu messen.
Einige Ritter standen etwas abseits, tranken Bier und machten sich über die vielen Frauenzimmer lustig, denn der Platz, auf dem die Spiele stattfinden sollten, wurde normalerweise nur für Ritterturniere genutzt.
»Sie müssen bestimmt um die Wette stricken.« lachten sie laut. »Es gewinnt garantiert die Magd, die am schnellsten Strümpfe stopfen kann.« Dabei zogen sie ihre Stiefel aus und zeigten begeistert die vielen Löcher in ihren Strümpfen vor.
Von diesem Gerede ließen sich die Frauen aber nicht einschüchtern.
Nun trat die Zofe auf ein Podest. Sie bat um Ruhe. Dann erklärte sie die Regeln.
»Geht in den nahen Wald, der sich hinter dem Schloss befindet. Sucht nach den schönsten Waldblumen und macht aus ihnen den schönsten Strauß, den ihr der Prinzessin zum Geschenk macht.«
Die Mädchen machten sich auf den Weg in den Wald und kamen nach und nach zurück. Die Blumensträuße waren prächtig und übertrafen sich gegenseitig in ihrer Schönheit. Es war wirklich schwer zu sagen, welcher von ihnen der Schönste sein sollte. Trotzdem sollte bei diesem Wettbewerb jemand ausscheiden.
Dafür hatte die fleißige Zofe bereits gesorgt, denn während der Schlosshof leer war, hatte sie absichtlich ein paar Silbertaler fallen lassen. Nach der Rückkehr der Mädchen fehlten zwei davon.
Die zwei Diebinnen waren schnell gefunden. Sie mussten das Geld zurück geben und das Schloss sofort verlassen.
Da waren es nur noch fünf.
»Die zweite Aufgabe steht euch nun bevor.« erklärte die Zofe mit lauter Stimme. »Einer Freundin flechtet man manchmal einen Zopf. Weil es viel zu lange dauert, der Prinzessin fünf Zöpfe zu flechten, werdet ihr dies an Puppenköpfen machen. Dazu sollt ihr eure eigenen Haare flechten. Kämme, Bürsten und mehr stehen für euch bereit.«
Die fünf Mädchen beeilten sich, einen gut gefüllten Korb zu holen, mit deren Inhalt sie die Puppenköpfe verschönerten. Sie frisierten, sie kämmten, sie bürsteten. Sie flochten kleine Blumen ins Haar und machten sich selbst so schick es nur ging. Es war eine helle Freude, ihnen bei ihrer Arbeit zuzusehen. Eine Frisur war schöner als die andere. Da fiel die Wahl schwer, Mädchen auszuwählen, die nach Hause gehen sollten.
Für die richtige Auswahl hatte wieder die Zofe gesorgt. Die Ritter des Königs waren nicht nur zum Zuschauen auf dem Hof. Sie streiften zwischen den Mädchen her und hörten zu, wie sie sich unterhielten. Nicht jedes Mädchen wollte eine Freundin werden. Zwei von ihnen redeten schlecht über die Prinzessin und wollten nur ein schönes Leben im Schloss haben.
Das wurde natürlich der treuen Zofe zugetragen. Sie stellte die beiden Mädchen zur Rede und schickte sie dann zurück ins Dorf.
Da waren es nur noch drei.
Die Zofe stieg wieder auf ihr Podest und richtete ihre Worte an die verbliebenen Mädchen. »Die letzte Aufgabe wartet nun auf euch. Für seine Freundin schreibt man etwas. Ein Brief, ein Gedicht, ein Lied. Dieses sollt ihr nun für die Prinzessin machen. Ihr bekommt Feder, Tinte und Papier. Schreibt eure Gedanken nieder und erfreut eure zukünftige Freundin.«
Die verbliebenen drei Mädchen machten sich sofort an die Arbeit. Sie schrieben als ginge es um ihr Leben. Immer wieder waren sie mit ihren Briefen unzufrieden, zerknüllten die Blätter und warfen sie auf den Boden.
Die Zofe ging derweil zwischen den Mädchen hin und her, sammelte die die verworfenen Briefe und las darin. Die Worte und Sätze, die sie darin fand, gefielen ihr gar nicht. Keines der Mädchen hatte sich bisher Mühe gegeben. In ihren Worten steckte keine Liebe, keine Leidenschaft. Da war nichts, dass einer Freundin würdig war.
Sie wurde traurig. Eines dieser Mädchen durfte sie der Prinzessin auf keinen Fall anvertrauen. Sie ließ weiter an den Briefen schreiben und schlich sich mit hängendem Kopf zum Balkon der Prinzessin hinauf.
»Es ist schlimmer, als ich es je befürchtet hatte.« berichtete die treue Zofe unter Tränen. »Kein einziges dieser Mädchen würde sich für eure Freundschaft aufopfern. Keines von ihnen wäre eurer Freundschaft würdig. Sie träumen alle nur von einem schöneren Leben. An euch denken sie keine einzige Minute lang. Es ist so traurig, dass ich euch euren Wunsch nach einer Freundin nicht erfüllen kann.«
Die Prinzessin lächelte verständnisvoll und bat ihre Zofe näher zu sich.
»Du musst nicht traurig sein. Ich habe den ganzen Tag von hier oben zugesehen. Ich habe alle Mädchen beobachtet. Jedes einzelne von ihnen hat gezeigt, was es über mich denkt. Alle Acht Mädchen haben sich Mühe gegeben, aber nur eine von ihnen meinte es wirklich ernst mit mir. Und auf dieses ist meine Wahl gefallen.«
»Acht?« Die Zofe war verwirrt. »Wie kommt ihr auf acht Mädchen? Es waren doch nur sieben im Hof.«
Nun lachte die Prinzessin. »Du Dummerchen. Es waren acht Mädchen da. Und eines hat sich den ganzen Tag für mich aufgeopfert. Es hat alles dafür getan, dass ich eine Freundin finde. Und genau das hat sie geschafft.«
Die Zofe verstand noch immer nicht.
»Du bist es. Du bist die Freundin, die ich lange gesucht habe. Dabei warst du schon immer da. Du hast mich umsorgt, hast jeden Tag mit mir geredet, dir meine Sorgen angehört und mir die Zeit vertrieben wenn es mir langweilig war. Du warst schon immer meine Freundin. Ich habe es nur nicht bemerkt. Aber das soll sich ab jetzt ändern.«
Nun weinten sie beide vor Freude und fielen sich gemeinsam in die Arme.
(c) 2014, Marco Wittler
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