Der Nikolaus kommt in unser Haus
Finn lag in seinem Bett und hatte Angst. Große Angst sogar.
Er dachte über die letzten Monate nach. Zu oft hatte er auf Mama und Papa nicht gehört. Zu oft hatte er seine große Schwester geärgert. Und viel zu oft hatte er in der Schule gequatscht und Blödsinn gemacht, statt seinen Lehrern zuzuhören. Würde er heute dafür Ärger bekommen?
Unruhig wälzte er sich im Bett hin und her. An Schlaf war überhaupt nicht zu denken.
Da! Ein Geräusch! War er das?
Finn schluckte. Sein Herz pochte bis in seinen Hals hinein. Ein unangenehmes Gefühl.
»Ich muss was tun.«, flüsterte er zu sich selbst.
Unsicher stand er aus seinem Bett auf, schlich sich durch die Wohnung bis zum Flur. Dort öffnete er die Tür und spähte nach draußen.
Er hatte richtig gehört. Auf der Treppe war jemand. Ein Fremder mühte sich Stufe für Stufe nach oben.
»Er kommt!«, war sich Finn mehr als sicher und machte sich auf alles gefasst.
Und schon kam er um die letzte Ecke. An seinem Mantel erkannte ihn Finn sofort: Der Nikolaus. Schwer atmend stützte sich dieser auf seinem Stab auf. Immer wieder machte er Pausen. Doch schließlich erklomm er auch die letzte Treppenstufe und stand Finn mit ernstem Gesicht gegenüber.
»So so.«, sagte er in ruhigem Ton. »Da steht der Finn, den ich suche, gerade vor mir und wartet schon auf mich.«
Finn schluckte. Er sah unsicher auf den Boden. Seine Hände zitterten. Was sollte er jetzt sagen? Was sollte er tun? Würde er ein paar Schläge mit der Rute auf den Hintern bekommen, wie es ihm Mama immer wieder angedroht hatte? Tränen quollen aus seinen Augen hervor.
»Es tut mir Leid, Nikolaus.«, versuchte er sich zu entschuldigen. »Ich weiß, dass ich kein artiges Kind war. Ich weiß auch nicht, was dieses Jahr mit mir los war. Aber ich will das alles wieder gut machen. Ich werde immer auf meine Eltern hören. Ich werde mich bei Lina entschuldigen und sie nie wieder ärgern. Und in der Schule werde ich ab heute viel besser aufpassen.«
Der Nikolaus kniete sich vor dem Jungen nieder und grinste.
»Ja sowas. Das hätte ich gar nicht erwartet. Es freut mich immer sehr, wenn ein Kind seine Fehler einsieht und sich bessern möchte. Das freut mich wirklich sehr.«
Finn sah nun das erste Mal auf und seinem Gegenüber direkt ins Gesicht.
»Ich bekomme also nicht die Rute?«
Der Nikolaus bekam einen ernsten Gesichtsausdruck.
»Rute? Wer hat dir denn so einen Blödsinn erzählt? Eine Rute? Wer macht denn sowas? Ich haue keine Kinder. Nein, nein. Vergiss diesen Blödsinn.«
Er richtete sich wieder auf.
»Das erzählen viel zu viele Eltern ihren Kindern. Dabei besitze ich nicht mal eine Rute. Nein, nein, nein.«
Er öffnete seinen Sack und holte einen Schokoladennikolaus daraus hervor, den er Finn in die Hand drückte.
»Der ist für dich. Ich bereite Kindern lieber Freude, als ihnen etwas auf den Hintern zu geben. Aber nur die artigen Kinder bekommen ein Geschenk von mir – oder diejenigen, die bereit sind, ihre Fehler einzugestehen und sich zu bessern. Das ist mir dann selbst immer eine sehr große Freude.«
Finn lächelte und bedankte sich.
»Ich verspreche dir, dass ich von nun an ein artiges Kind sein werde.«
Dann verabschiedeten sie sich voneinander. Der Nikolaus packte seinen Sack zurück auf die Schulter und ging die Treppe wieder hinunter. Finn schlich zurück in sein Bett und konnte endlich ruhig und glücklich schlafen.
(c) 2016, Marco Wittler
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