Lukas, die kleine Weihnachtslok
Lukas, die kleine Dampflok war wieder mal unterwegs – unterwegs zwischen den zwei kleinen Städten Altenburg und Neuenstadt. Sehr lange war dies seine ganz persönliche Strecke gewesen, doch seit ein paar Jahren war das die Aufgabe der Diesellok Arno. Seitdem drehte Lukas seine Kreise auf einem kleinen Hof einer Grundschule, um den Kindern in der Pause die Zeit zu vertreiben.
Heute war das anders. Arno stand im Lokschuppen. Dafür durfte Lukas mit den Schulkindern zwischen den Städten hin und her fahren. Er durfte es, weil Weihnachten war. Es war sein Geschenk an die kleinen Fahrgäste.
Bei jeder Fahrt saßen neue Kinder in den Bänken. Immer wieder wurde getauscht. Jeder wollte einmal dabei sein. Auch die Eltern ließen es sich nicht nehmen, noch einmal mit der kleinen Dampflok fahren zu können.
Aber als es langsam dunkel geworden war, passierte etwas, womit niemand gerechnet hatte. Irgendetwas stand da auf den Gleisen. War das ein anderer Zug? Eine Rinderherde? War ein Auto am Bahnübergang liegen geblieben?
Lukas hupte und bremste. Was sich auch immer vor ihm befand, wollte einfach nicht verschwinden. Nur einen Meter davor kam der Zug zum stehen.
Die kleine Dampflok wollte ihren Augen nicht trauen. Sie stand vor einem Schlitten. Es war ein großer Schlitten, auf dem ein noch viel größerer Sack lag. Ein dicker Mann klammerte sich an den Zügeln der Zugtiere fest und zitterte vor Angst, überfahren zu werden.
»Du bist der Weihnachtsmann! Das gibt’s doch gar nicht.«, rief Lukas überrascht.
»Du bist eine sprechende Dampflok! Das gibt’s doch gar nicht.«, rief der Weihnachtsmann noch viel überraschter.
»Was machst du denn hier?«, wollte Lukas wissen.
»Meine Rentiere sind völlig erschöpft. Sie können den Schlitten keinen einzigen Meter mehr laufen. Ich sitze fest. Und das ausgerechnet an Weihnachten. Wie soll ich denn jetzt die Geschenke pünktlich unter die Christbäume legen?«
Lukas überlegte. »Ich würde dir wirklich gern helfen. Aber ich bin nur eine kleine Dampflok. Ich hänge an meinen Schienen fest und kann sie nicht verlassen.
Der Weihnachtsmann grinste und lachte erfreut.
»Du willst mir wirklich helfen? Dann kann ich dir auch helfen.«
Er spannte die Rentiere ab, führte sie an einen nahen Zaun, wo er sie fest band.
»Wenn mir deine Fahrgäste helfen, können wir den Schlitten hinter dich schieben und anhängen. Alles andere kommt von allein. Er wird dir dabei helfen, den Boden zu verlassen und durch die Lüfte zu fliegen.«
Das ließ sich Lukas natürlich nicht zweimal sagen. Er rief alle Eltern zu sich und erklärte ihnen, was zu tun sei. Nach nur wenigen Minuten hing der Schlitten hinter dem letzten Zugwaggon. Der Weihnachtsmann nahm im Führerhaus der kleinen Dampflok Platz.
»Los geht’s, Weihnachtsmann!«, rief Lukas und gab Gas.
Nach wenigen Metern hob die kleine Dampflok ab. Sie verlor den Boden unter den Rädern und flog hinauf in den Himmel. Die Fahrgäste in den einzelnen Waggons wollten ihren Augen nicht trauen.
Die ganze Nacht hindurch flog Lukas von einem Land zum anderen, von Stadt zu Stadt und landete auf jedem einzelnen Dach. Der Weihnachtsmann kletterte durch die Kamine und konnte noch jedes einzelne Paket pünktlich an Ort und Stelle bringen.
Ganz zum Schluss kehrten sie zu den Rentieren zurück, die sich mittlerweile erholt hatten. Während Lukas den Schlitten abkoppelte, verteilte der Weihnachtsmann noch ein paar Geschenke an die Fahrgäste, die eine unglaubliche Nacht erlebt hatten. Dann bedankte er sich bei der kleinen Dampflok und spannte seine Rentiere wieder an.
»Vielen Dank, kleine Dampflok. Du warst mir eine sehr große Hilfe. Ohne dich hätte ich das nie geschafft.«
»Ich habe dir gerne geholfen.«, antwortete Lukas. »Auch ich muss mich bedanken. Ohne dich wäre ich niemals in die Lüfte abgehoben. Ohne dich hätte ich das auch nie geschafft.«
Sie verabschiedeten sich voneinander. Dann machte sich der Weihnachtsmann auf den Weg zurück zum Nordpol. Lukas sah ihm noch eine Weile nach, bevor er seinen Weg zum nächsten Bahnhof fortsetzte. Während der Fahrt lauschte er den Weihnachtsliedern, die die Menschen in seinen Waggons sangen.
(c) 2016, Marco Wittler
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