600. Der Adventskalender

Der Adventskalender

Tim lag aufgeregt in seinem Bett. Er war schon sehr früh wach geworden, weil er es nicht mehr aushalten konnte. Gleich würde Mama in sein Zimmer kommen, das Licht einschalten und ihn wecken. Dann würde Tim gleich aus den Federn springen, zu seinem Adventskalender laufen und das erste Türchen öffnen. Schokolade noch vor dem Frühstück, das gab es nur im Dezember. Aber dann gleich vierundzwanzig Mal hintereinander. Was für eine tolle Jahreszeit.
Es konnte sich nur noch um wenige Minuten handeln. Oder sollte Tim schon heimlich aufstehen und schon jetzt die Schokolade naschen? Nein. Dann wäre die ganze Aufregung und Vorfreude dahin. Also wartete er geduldig.
Fünf Minuten später öffnete sich die Tür. Tim schloss schnell die Augen und stellte sich schlafend. Mama schaltete das Licht ein, schüttelte sanft an Tims Schulter, bis er gähnend die Augen öffnete.
»Es wird Zeit aufzustehen. Gleich geht es in die Schule.«
Tim stand sofort hellwach auf und zog sich geschwind an.
»Darf ich, Mama?«
Mama seufzte und lächelte. »Na los. Mach dein Türchen auf und lass dir die Schokolade schmecken.«
Tim flitzte zu seinem Schreibtisch und öffnete Türchen Nummer Eins … und war verwirrt.
»Was soll denn das? Wo ist meine Schokolade? Hier ist nichts drin. Da stimmt doch was nicht.«
Er sah sich den Kalender genauer an und stellte fest, dass jedes Türchen schon geöffnet und wieder verschlossen worden war. Also öffnete auch er die Türen nacheinander.
»Leer … leer … leer … nichts … gar nichts … noch mehr nichts …«
Tränen standen ihm in den Augen.
»Mama, der Kalender ist komplett leer. Es hat ihn jemand leer gefuttert, bevor ich das machen konnte. Wer macht denn sowas?«
Er warf sich in Mamas Arme und begann zu weinen. In diesem Moment kam Papa keuchend ins Kinderzimmer.
»Oh, verdammt. Ich bin zu spät dran.«
Papa wurde rot im Gesicht.
»Zu spät wofür?«, fragte Mama. Sie bekam plötzlich einen strengen Ton in ihrer Stimme.
»Hast du etwa …?«
Papas Gesicht wurde nun dunkelrot wie eine reife Kirsche.
»Ähm … ich … also.«
Er seufzte.
»Tut mir wirklich leid. Aber ich hatte gestern Abend einen unglaublichen Hunger auf etwas Süßes. Ich konnte einfach nicht widerstehen. Passiert aber bestimmt nicht wieder.«
Dann holte er aus einer Einkaufstasche einen neuen Adventskalender hervor.
»Ich dachte, ich schaffe es noch, bevor du aufstehst, aber dann war die Schlange an der Kasse so lang. Da standen ganz viele Väter mit roten Gesichtern und Adventskalendern in den Händen.«
Jetzt konnte Tim wieder grinsen.
»Dann bist du ja nicht der einzige Papa, der seinen Kindern die Schokolade weg gefuttert hat.«
»Ja genau. Und stell dir vor, drei von ihnen haben keine Kalender mehr bekommen. Das Regal war nämlich irgendwann leer.«
Da war Tim froh, dass sein Papa rechtzeitig zum Einkaufen gefahren war.

(c) 2017, Marco Wittler

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