625. Weihnachten ohne Baum

Weihnachten ohne Baum?

Draußen vor der Haustür waren die Schritte schwerer Stiefel zu hören. War es der Weihnachtsmann? Vielleicht ein Einbrecher? Nein. Der Weihnachtsmann war noch nie durch die Tür gekommen. Der benutzte immer den Kamin. Und der Einbrecher würde keinen Schlüssel benutzen, denn ein solcher wurde gerade in diesem Moment in Schloss gesteckt und die Haustür geöffnet.
Ein dick vermummter Mann kam aus dem dichten Schneetreiben herein und zog sich gleich die Winterjacke aus.
»Papa!«, jubelte Finn begeistert. »Da bist du ja endlich. Dann kann Weihnachten beginnen.«
Papa klopfte sich den Schnee ab und zog sich Stück für Stück aus, bis er nur noch in seiner normalen Hose und seinem Lieblingspullover vor seinem Sohn stand.
»Ich habe euch auch vermisst.«, sagte er mit einem Lächeln. »Ich habe mich schon die ganze Woche drauf gefreut, endlich wieder nach Hause zu kommen. Ist nicht schön, so weit weg von seiner Familie arbeiten zu müssen.«
Er nahm Finn an die Hand und ging mit ihm ins Wohnzimmer. Dort blieb er wie angewurzelt stehen.
»Moment mal. Wo ist denn der Weihnachtsbaum? Wir können ohne Baum kein Weihnachten feiern.«
Jetzt kam auch Mama herein.
»Wie? Baum? Du hast mir doch heute Morgen auf mein Handy geschrieben, dass du unterwegs einen Baum kaufen und mitbringen wirst. Wo ist der denn jetzt?«
Papa kratzte sich verwirrt am Kopf und holte sein Handy aus der Hosentasche.
»Ich hab dir doch später noch geschrieben, dass ich keinen mehr bekommen habe und du dich kümmern musst, damit ich nicht erst in der Nacht hier ankomme.«
Er sah auf das Display und erschrak.
»Oh! Nein! Ich hab die Nachricht geschrieben aber nicht abgeschickt. Was machen wir denn jetzt?«
Mama seufzte.
»Jetzt ist es zu spät. Um diese Zeit bekommen wir nirgendwo mehr einen Baum.«
»Nix da.«
Papa stürmte zurück in den Flur und zog sich wieder seine Winterausrüstung an.
»Wir feiern jedes Jahr mit einem Weihnachtsbaum. Das werden wir auch dieses Jahr machen. Versprochen ist versprochen.«
Dann lief er in den Keller und kam mit Axt und Schlitten wieder nach oben.
»Komm Finn. Zieh dir was an. Wir holen einen Baum.«
Gemeinsam machten sich die Zwei auf den Weg in den Wald. Dazu mussten sie eine halbe Stunde lang durch den mehr als kräftigen Schneefall einen Berg hinauf stapften. Mehrmals blieben sie im tiefen Schnee stecken und kamen kaum noch vorwärts. Aber irgendwann hatten sie dann doch geschafft.
Papa suchte einen schönen Baum aus und setzte die Axt an. Mit ein paar kräftigen Hieben fällte er die Tanne und legte sie vorsichtig auf dem Schlitten.
»Wie gut, dass von Opa noch ein paar Bäume hier oben stehen, die wir fällen dürfen. Jetzt müssen wir nur zusehen, wie wir wieder nach Hause kommen. Ich kann unser Haus nicht mehr sehen.«
Tatsächlich waren so viele Schneeflocken in der Luft, dass man kaum mehr als zwei bis drei Meter weit sehen konnte.
Sie machten sich auf den Rückweg und stapften nun zurück ins Tal.
»Geh bitte vorsichtig.«, warnte Papa seinen Sohn. »Wir wollen in einem Stück ankommen.«
Doch da war es schon geschehen. Papa rutschte aus und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Dabei zog er sich ungewollt den Schlitten unter den Hintern und Finn gleich mit sich.
In wilder Fahrt ging es den Berg hinab. Sie wurden immer schneller. Papa bekam große Angst, dass sie gegen einen Busch, einen Baum oder einen Weidezaun knallen würden. Wie wild versuchte er den Schlitten zu lenken und zu bremsen. Glück hatte er aber keines. Nach wenigen Minuten krachten sie in einen großen Schneehaufen und kamen zum Stehen.
»Juhuu! Das war echt irre!«, freute sich Finn. »Können wir das irgendwann nochmal machen?«
Papa buddelte sich mühsam aus dem Schnee und sah sich um. Sie standen direkt vor ihrem Haus. Sie hatten es geschafft.
»Lass uns den Baum rein bringen.«, nuschelte Papa und wankte auf die Tür zu. »Die Mama wird ihn bestimmt schmücken wollen.«

(c) 2017, Marco Wittler

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