726. Welt der Drachen (Mein kleiner Mond und ich 03)

Welt der Drachen

Hallo Oma Sonne.

Heute erreicht Dich wieder eine Flaschenpost von mir, in der ich Dir davon berichte, was ich in der unendlichen Weite des Weltalls erlebt habe.
Mein kleiner Mond hat sich mächtig ins Zeug gelegt, dicke Backen gemacht und kräftig in unser Segel geblasen, um eine weite und anstrengende Reise zu unternehmen.
Auf dem Weg durch das unendliche Sternenmeer des Weltalls kamen wir den schönsten und unglaublichsten Welten vorbei, die man sich nur vorstellen kann. Eine von ihnen hat dann auch unsere Aufmerksamkeit erregt.
Gerade in dem Moment, als wir an ihr vorbei fliegen wollten, kamen uns seltsame Wesen entgegen geschossen. Sie waren wahnsinnig schnell, rasten mit der Kraft ihrer Flügelschläge an uns vorbei, nur um sich dann wieder in Hals brecherischer Weise in die Tiefe hinab zu stürzen.
Mein kleiner Mond und ich waren uns sofort einig, dass wir uns das unbedingt anschauen mussten. Also folgten wir diesen Wesen zur Oberfläche.
Diese besondere Welt war dunkel. Das lag nicht etwa an einer fehlenden Sonne, sondern an ihrer Oberfläche. Sie war, soweit man gucken konnte, dunkelgrau gefärbt. Hier und da aber von hellrot leuchtenden Flüssen unterbrochen.
»So etwas habe ich schon mal gesehen.«, erklärte mir mein kleiner Mond. »Das sind Lavaflüsse. Dort unten fließt flüssiges Gestein. Wir haben es hier wohl mit einer heißen Vulkanwelt zu tun.«
Und stell dir vor, genau so war es dann auch. Aus vielen Kratern wurde heiße Glut gespuckt. Dazwischen lebten die seltsamen Wesen, die wir schon im Sternenmeer beobachtet hatten. Sie schritten hin und her, als würde es die Gefahr der Lava für sie nicht geben. Im Gegenteil. Manche von ihnen schienen sogar Spaß daran zu haben, in den heißen Fluten zu baden.
»Wer seid denn ihr?«, hörten wir plötzlich eine Stimme hinter uns. »Wesen wie euch habe ich hier noch nie gesehen.«
Es war ein kleineres, wohl jüngeres Wesen als die anderen. Neugierig beschnupperte es uns von oben bis unten.
»Ihr duftet gar nicht nach Ruß und Asche. Seid ihr am Ende gar keine Drachen wie wir?«
Ich verneinte und erklärte dem kleinen Drachen, dass wir einfach nur das kleine Mädchen mit seinem kleinen Mond waren und uns auf der Durchreise befanden.
»Was genau macht ihr da eigentlich?«, fragte ich nach. »Ich habe gesehen, dass viele von euch ins Sternenmeer fliegen, um sich dann wieder in die Tiefe zu stürzen.«
Der kleinie Drache nickte eifrig. »Das ist das Größte, das Gefährlichste, das Wunderbarste, das ein Drache machen kann. Wir zeigen den anderen, wie wunderbar es ist, dass wir hier leben. Wir fliegen so weit hinauf, bis wir keine Luft mehr atmen können. Dann drehen wir um und stürzen uns in die heiße Lava. Es gibt nichts Schöneres.«
Plötzlich wandelte sich das begeisterte Gesicht des Drachen und schwand großer Trauer.
»Jedenfalls sagen das alle. Ich weiß aber nicht, ob es auch wirklich stimmt.«
Er drehte seinen Kopf nach hinten und betrachtete seinen Rücken.
»Ich habe mir beim Schlüpfen aus meinem Ei einen Flügel gebrochen. Leider wuchs der Knochen schief zusammen. Ich werde niemals in meinem Leben vom Boden abheben. Deswegen nehmen mich auch die anderen Drachen nicht ernst und ziehen mich immer auf.«
Ich musste schwer schlucken. Das war ein hartes Schicksal, dass er da erleiden musste.
Ich sah mich um, suchte nach einer Idee, dem kleinen Drachen zu helfen. Aber ich konnte nichts finden.
Da räusperte mein kleiner Mond und wedelte mit unserem Segel.
Natürlich. Das war es.
»Uns ist da gerade etwas eingefallen. Wir werden dir helfen.«, versprach ich und schnitt ein Stück des Segels ab.
Ich nahm ein paar Äste, die ich am Boden fand, verband sie zu einem Kreuz und spannte den Stoff darauf.
»Das wird dir helfen. Halte das Gerät in den Wind und es wird dich in den Himmel heben.«
Der kleine Drache traute der Sache nicht und beäugte unsere Hilfe sehr kritisch. Dann zuckte er mit den Schultern und seufzte laut.
»Was hab ich shcon zu verlieren? Probieren kann ich es ja mal.«
Er nahm uns das Fluggerät ab, hielt es über seinen Kopf und in den Wind. Eine Sekunde später sauste er schon davon und stieg hinauf in den Himmel.
Mein kleiner Mond und ich waren begeistert, die umstehenden großen Drachen völlig überrascht.
Ich setzte mich schnell auf meinen kleinen Mond. Dann flogen wir dem kleinen Drachen nach.
»Das ist der Wahnsinn.«, hörten wir ihn jubeln. »Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll.«
Ich grinste ihn zufrieden an.
»Wenn wir dir helfen konnten und du nun glücklich bist, dann ist uns das Belohnung genug.«
Er nickte. »Mehr als glücklich. Das ist der schönste Tag in meinem Leben.«
Dann wurde es für ihn Zeit. Er winkte noch einmal zum Abschied und stürzte sich dann der Oberfläche seiner Welt entgegen.
»Du musst das Fluggerät aber kurz vor der heißen Lava zu Seite werfen, damit es nicht verbrennt!«, rief ich ihm noch nach. Dann war er auch schon aus meinem Blick verschwunden.
Mit einem Lächeln im Gesicht und einem guten Gefühl machten dann mein kleiner Mond und ich uns wieder auf den Weg, eine neue Welt zu entdecken, von der wir dir berichten können. Auf der Reise dort hin, habe ich mir dann die Zeit genommen, dir diesen Brief zu schreiben. Ich hoffe, dass dich meine Flaschenpost schon bald erreichen wird.

Liebe Grüße,
dein kleines Mädchen mit dem kleinen Mond.

(c) 2019, Marco Wittler

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