Ivans Fliege
Ivan stand vor dem Spiegel und war so richtig mit sich zufrieden. Vor nicht einmal zehn Minuten hatte die Post das lang ersehnte Päckchen gebracht. Darin hatte eine bunte Fliege gelegen, die Ivan nun um den Hals trug.
Schick sah er damit aus, wie ein schlauer Professor. Es fehlte nur noch seine Brille. Doch die landete nun auch auf der Nase. So konnte sich Ivan auf der Straße sehen lassen.
Aufgeregt öffnete er die Tür seines kleinen Hauses und trat nach draußen. Was wohl die Leute von ihm denken würden?
Der Erste, der ihm entgegen kam, war der Bürgermeister der kleinen Stadt, in der Ivan lebte. Der alte Mann konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dabei starrte er die ganze Zeit auf die Fliege.
»Was hast du dir denn da um den Hals gebunden? Eine Fliege trägt man doch heute gar nicht mehr. Das ist was für kleine Kinder. Der Mann von Welt trägt Krawatte.«
Dabei strich er sich über das lange Stück Stoff, das an seinem Hals herab hing.
Auch andere Passanten machten sich über Ivan lustig. Niemandem gefiel die Fliege. Stattdessen wurden Witze gerissen und Ivan ausgelacht. Das war überhaupt nicht schön, nett schon gar nicht. So etwas tat man einfach nicht.
Irgendwann wurde es Ivan zu bunt. Er blieb mitten auf dem Marktplatz stehen, wo ihn alle Leute sehen konnten. Demonstrativ zog er an seiner Fliege, entfernte sie eine Hand breit vom Hals. Schon nahm jeder, der das beobachtete, an, dass Ivan die Fliege abreißen und zu Boden werfen würde. Aber es kam ganz anders.
Ivan drehte die Fliege, gab ihr einen kräftigen Schwung. Sie machte zuerst eine zögerliche Bewegung, dann wurde ihr Rotieren immer schneller. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Ivan abhob und über die Menge hinweg schwebte.
»Seht ihr, eine Fliege ist etwas richtig Cooles. Oder könnt ihr etwa mit euren Schlipsen, Regenschirmen und Mänteln schweben?«
Nein, das konnten die Leute da unten auf dem Marktplatz tatsächlich nicht. Deswegen sahen sie auch verschämt zu Boden und beneideten Ivan, der nun eine fantastische Aussicht über die ganze Stadt genießen konnte.
(c) 2020, Marco Wittler
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