887. Wir zogen ihm den Pullover ab (Mann und Manni 33)

Wir zogen ihm den Pullover ab

Da saß ich nun. Ich hatte meinen stattlichen Hintern auf dem Pflaster einer fremden Stadt geparkt und sah wehmütig auf das vor mir liegende Meer hinaus. Irgendwo dort draußen, weit hinter dem Horizont befand sich nun den Rest meiner WG mit dem Wohnmobil auf einer Fähre, um die Ostsee zu überqueren, während ich hier ganz allein nahe des Hafens saß. Den einsetzenden Sonnenuntergang hätte ich so gern genossen, wenn die Umstände anderer Art gewesen wären. Aber so fühlte ich mich von der Sehnsucht nach meinen Freunden einfach nur zerfressen.
Aber ich sollte am Anfang meines Berichts beginnen, dir erzählen, was mir zugestoßen war, was dazu geführt hatte, dass ich von den anderen getrennt wurde.
Ich war mit meinen Mitbewohnern und Untermietern in unserem Wohnmobil im schönen Schweden unterwegs gewesen. Doch jede Reise musste irgendwann ein Ende finden. Es war die Zeit gekommen, sich auf den Heimweg zu machen.
Der Mann, Teil meines durchaus erfolgreichen Privatermittlerteams Mann und Manni hatte unser mobiles Heim zur nächsten Hafenstadt gesteuert, um mit einer Fähre zur anderen Seite des Meeres überzusetzen.
Meine Wenigkeit ist übrigens der Manni, ein Kater von stattlicher Statur, der Kopf des Teams, der mit den Geistesblitzen, derjenige, der jeden Täter überführte, lediglich vom Helfershelfer Mann unterstützt.
Vor Ort hatte der Mann noch das Ticket im Kontor kaufen müssen, also verließ er kurz unsere sechsköpfige Reisetruppe, die aus vier Mietzen und zwei Menschen bestand. Und damit sollte der ganze Schlamassel erst beginnen.
Während also der Mann das Wohnmobil verließ, sollte ihm die Frau nur wenige Augenblicke später in das nahe Gebäude folgen. Sie hatte während der Fahrt viel getrunken und wollte nun die Toilette aufsuchen. Warum sie nicht die in unserem Fahrzeug verbaute Einrichtung nutzen wollte, ist bis heute nicht geklärt.
Während wir vier Katzen also allein zurück gelassen wurden, machte sich jemand am Türschloss zu schaffen.
Sofort stellten sich meine Rückenhaare auf. Der Spürsinn des perfekten Ermittlers schlug an. Hier war ein Einbrecher oder Fahrzeugdieb an der Arbeit.
Sofort verständigte ich meine Mitbewohner und verteilte sie mit wortlosen Blicken auf verschiedene Plätze, um den Eindringling zu vertreiben.
Mein Bruder Lord Schweinenase, der mal wieder diverse Futterreste im Gesicht kleben hatte, setzte sich in den Schatten neben der Tür und wartete darauf, in den Einsatz zu gehen.
Die tapfere Mini-Mietze, die keinen noch so großen Gegner scheute, setzte sich frontal vor den Eingang und fuhr ihre spitzen Krallen aus. Sie war es gewohnt, sich jedem Angreifer offen zu stellen.
Der bengalische Angsthase war natürlich verschwunden. Dafür gesellte sich ShadowCat an meine Seite, der Superheld mit Cape und Maske in Katzengstalt.
Wenige Sekunden hatte der Verbrecher ds Türschloss überwältigt und die Tür geöffnet. Hinter einer Gummimaske versteckt, die mich sehr an den Joker aus einem Superheldenfilm erinnerte, betrat der Fremde unser Heim.
Sofort gingen wir in den Einsatz. Lord Schweinenase sprang dem Eindringling auf den Kopf und malträtierte ihn dort. Die Mini-Mietze zerkratze ihm so lang den Pullover, bis sie auf seiner nackten Brust weiter machen konnte.
ShadowCat und ich klammerten uns an seine Beine, um ihn zu Fall zu bringen.
Der Einbrecher schrie um sein Leben, nahm die von uns attackierten Beine in die Hand und trat die Flucht an.
Lord Schweinenase ließ von ihm ab und sprang zu Boden. Auch die Mini-Mietze ließ ihn laufen. ShadowCat hatte ebenfalls genug Spaß gehabt. Nur meine Wenigkeit hatte keine Chance, im Wohnmobil zu bleiben. Meine Krallen hatten sich im festen Jeansstoff verfangen. Ich wurde, ob ich wollte oder nicht, vom Flüchtenden mitgeschleift.
Ich wurde kräftig durchgeschüttelt und mehrere hundert Meter vom Tatort fortgetragen. Erst dann konnte ich mich von meinem Entführer lösen.
»Dir hab ich es gezeigt.«, rief ich ihm nach. »Wag dich nicht noch einmal an unser Wohnmobil heran.«
Mit stolzer Brust schlenderte ich zurück zum Hafenkontor und wollte mich wieder meiner WG anschließen. Als ich um die letzte Ecke bog, traf es mich wie einen Schlag.
Das Wohnmobil war verschwunden. Ein schneller Blick gab mir die bitterliche Gewissheit. Die beiden Menschen hatten den Einbruch nicht bemerkt. Sie hatten offensichtlich darauf verzichtet, die Anzahl der Katzen noch einmal zu überprüfen. Unser mobiles Heim musste sich bereits auf der Fähre befinden, die laut Fahrplan vor fünf Minuten abgelegt hatte.
Seit diesem Moment saß ich auf der Kaimauer und blickte hinaus auf Wellen, die das Meer aufschäumen ließen, ignorierte die Schönheit des Sonnenuntergangs und trauerte meinem Verlust nach. Ich würde meine Freunde, meine Familie, nie wieder sehen.
»Manni!«, hörte ich plötzlich eine wohl vertraute Stimme aus der Ferne hinter mir.
So weit war es also schon gekommen, dass sich meine Sehnsucht in meiner Fantasie manifestierte und ich Dinge hörte, die nicht da waren.
»Manni!«, hörte ich es wieder.
Ich drehte mich langsam um, sah in das Gesicht des Mannes, der sich gerade eine Träne aus dem Gesicht wischte. Er war umringt von meinen Lieben, deren Rückkehr ich für unmöglich gehalten hatte.
Lord Schweinenase hielt es nicht mehr länger als, stürmte auf mich zu und sprang überglücklich auf mich. Es tat unglaublich gut, seine Nähe zu spüren.
Die Mini-Mietze und ShadowCat nickten mir freundlich zu, während die Frau zu mir kam und mich erleichtert zum Wohnmobil brachte.
Sie hatten mich nicht vergessen, sie hatten auf die Überfahrt verzichtet, um nach mir zu suchen und um mich in den Schoß der WG zurück zu holen.
Ich war unglaublich gerührt. Das, und nur das, bedeutete Familie.

(c) 2020, Marco Wittler


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