935. Der kleine Schnupfen

Der kleine Schnupfen

Er hatte sich über die letzten Monate gut vorbereitet. Schon im Frühling, als draußen die Temperaturen gestiegen waren, hatte er sich in einer großen unaufgeräumten Garage ein Versteck gesucht, in dem er unentdeckt auf seinen großen Moment warten konnte.
Nun war bereits der Sommer vorbei, der Herbst genoss die Welt in vollen Zügen, während der Winter schon in den Startlöchern mit den Hufen scharrte.
Das Wetter hatte sich in den letzten Tagen merklich abgekühlt, es regnete beinahe pausenlos. Die Menschen hatten sich in dicke Jacken gekleidet.
»Jetzt ist es endlich so weit.«, freute er sich. »Jetzt kann ich unbarmherzig zuschlagen. Ich bin jetzt schon gespannt, wen ich als erstes erwische.«
Er war ein kleiner Schnupfen, der sich nichts sehnlicher wünschte, als über jeden Menschen herzufallen und ihnen laufende Nasen zu verpassen.
»Ich erwische jeden einzelnen von euch. Ich werde euch alle krank machen. Ich habe die besten Viren mit an Bord, die man sich nur vorstellen kann. Ich werde der erfolgreichste Schnupfen aller Zeiten werden.«
Der kleine Schnupfen kroch aus seinem Versteck, krabbelte zum Garagentor und öffnete es.
Frische, kalte Luft strömte ihm entgegen. Er fröstelte und begann zu zittern.
»Hä? Was ist denn das? Warum ist die Welt so weiß?«
In den letzten Stunden hatte es sich noch einmal kräftig abgekühlt. Aus dem Regen war Schnee geworden, der nun alles unter sich begraben hatte.
»Nee. Das mag ich jetzt aber auch nicht. Das ist mir viel zu kalt. Nicht, dass ich mich da draußen erkälte. Ich warte einfach bis zu Frühling.«
Der kleine Schnupfen zog sich zurück in sein Versteck und schlief schnell ein.

(c) 2020, Marco Wittler


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